Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. In den vorausgegangenen Freitangsansprachen haben wir die Meinungs- und Gedankenfreiheit erläutert und festgestellt, dass die Redefreiheit und der Pluralismus der Gedanken zwei gesellschaftliche Grundprinzipien sind, für die der Islam eintritt, weil sie eine unerlässliche Voraussetzung religiösen Glaubens und islamischen Rechts darstellen.Im weiteren Verlauf dieser Debatte muss die wichtige Frage beantwortet werden, inwieweit diese Freiheit aus islamischer Sicht begrenzt wird. Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass eine absolute, gänzlich unbeschränkte Freiheit prinzipiell nicht vorstellbar ist, auch nicht in den liberalsten Theorien oder individualistischsten Denkschulen. Dieser Aspekt wurde bereits ausführlich besprochen und gilt auch in Bezug auf die Rede- und Gedankenfreiheit. Zweifellos kann man Meinungen und Theorien frei äußern, solange dadurch niemand zu Schaden kommt und Auffassungen anderer nicht verhindert werden, d. h. wie bei der Handlungsfreiheit endet auch die Freiheit der Rede da, wo die Freiheit der anderen gefährdet ist.Aus islamischer Sicht hat auch die Redefreiheit Ordnungen und Bedingungen, die allgemein in folgende Kategorien unterteilt werden:
- Ordnung der Kenntnislehre.
- Ordnung der Methodenlehre.
- Ordnung der Psyche.
- Ordnung des Rechts.
- Ordnung der Ethik.
Damit die genannten Ordnungen richtig erklärt werden können, müssen wir aus der Sicht des Islam noch einige andere Punkte beachten. Ein solcher Faktor ist die Zielrichtung, d. h. dass man sich in seinem Leben ein Ziel setzt, auf das man zielbewusst und zielstrebig hinarbeitet, denn jedes Thema, Phänomen usw. – gleich ob es das individuelle oder gesellschaftliche Leben betrifft – impliziert eine Zielsetzung, die diskutiert und hinterfragt werden muss. Dieses Prinzip muss auch hinsichtlich der verschiedenen Arten von Freiheit angewendet werden, und in diesem Kontext muss gefragt werden „Freiheit wozu?“ und „mit welchem Ziel?“ Es gilt also zu klären, warum der Mensch zwingend auf freie Meinungsäußerung angewiesen ist, und der Islam beantwortet diese Frage eindeutig und klar, denn aus islamischer Sicht hängt die Entwicklung und Vervollkommnung des Menschen von seiner Freiheit ab. Menschliche Begabungen und Fähigkeiten können nur mittels Freiheit und der aus ihr resultierenden Inspiration, aus Theorien, Weisheiten, Wissen etc. neue Gedankengänge zu konstruieren, entwickelt werden. In einer geschlossenen und diktatorischen Gesellschaft können Menschen die angestrebte Vervollkommnung der Vernunft nicht erreichen.Wird die Rede- und Gedankenfreiheit und darauf gründend die Entwicklung des Menschen zur vollkommenen Denk- und Erkenntnisfähigkeit als Ziel der individuellen und gesellschaftlichen Freiheit definiert, dürfen diese Freiheiten niemals so charakterisiert und praktiziert werden, dass dieses Ziel nicht erreicht oder noch schlimmer, der Mensch zu Dekadenz und Irrtum geführt wird. Aus diesem Grund ist die Definition von Bedingungen, Ordnungen und Kriterien für die Redefreiheit vernünftig und klug, und der Islam bestimmt diese Kriterien, Bedingungen und Ordnung mittels der Vernunft.Ordnung der Erkenntnis und der Redefreiheit Da Denken und Sprechen mit Verstehen und Erkenntnis verbunden sind, bilden die Kriterien der Erkenntnis die erste Ordnung der Redefreiheit. Das bedeutet, dass die Gedanken so zum Ausdruck gebracht werden sollen, dass dem Angesprochenen ein richtiges Verstehen ermöglicht wird. Niemandem steht es zu, seine Meinungen und Gedanken absichtlich so zu äußern, dass die anderen zu einer falschen Deutung und einem falschen Verständnis gelangen. Wenn ein Sprecher in seinen Ausführungen zum Beispiel Begriffe benutzt, die im alltäglichen Sprachgebrauch andere und verschiedene Bedeutungen haben, kann der Angesprochene durch diese Art der mehrdeutigen Rede absichtlich zu einem falschen Verständnis veranlasst werden. Gleiches gilt, wenn ein Redner Fachausdrücke verwendet, die von denjenigen, die nicht über dieses Fachwissen und die entsprechende Terminologie verfügen, und deren Allgemeinwissen nicht genügt, um zu einem hinreichenden Verständnis und Urteil über das Thema zu gelangen; in diesem Fall hat der Redner den von ihm Angesprochenen verraten und die Würde und Ehre der Redefreiheit missachtet. Deswegen wurden in der islamischen Lehre zwei wichtige Kriterien für die Redefreiheit festgelegt: 1. Die Notwendigkeit der Benutzung einer gemeinsamen SpracheObgleich der Redner seine Meinung und Gedanken frei erläutern kann, ist er aber verpflichtet, eine Sprache zu verwenden, die für den Angesprochenen verständlich ist, d. h. er muss Begriffe verwenden, die aus der Sicht des Angesprochenen die gleiche Bedeutung und das gleiche Verständnis beinhalten wie aus der Sicht des Redners.Selbstverständlich hat jede Wissenschaft ihre eigene Fachsprache, und dementsprechend gibt es Termini technici, die in ihrem Bereich ihre spezifische Bedeutung haben, während sie vom äußeren Wortlaut her mit Fachbegriffen aus anderen Wissenschaftszweigen Gemeinsamkeiten aufzuweisen scheinen, während Bedeutung und Gehalt völlig unterschiedlich sind. Werden diese Fachbegriffe also ohne jegliche Erklärung und Deutung von einem Wissenschaftsbereich in einen anderen übertragen, wird die erforderliche Ordnung der wissenschaftlichen Sprache und ihrer Anwendungskriterien zerstört. 2. Die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Fachwissen und AllgemeinwissenZur Erklärung der notwendigen Bedingung des ersten Kriteriums muss noch erwähnt werden, dass es das Ziel der Denk- und Redefreiheit ist, eine pluralistische Atmosphäre zu schaffen, so dass den Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit gegeben wird, die besten Entscheidungen zu treffen. Niemand hat das Recht, den Willen und die Entscheidung der Menschen zu manipulieren und ihre Entscheidungen in eine für ihn nützliche Richtung zu lenken.Wenn zum Beispiel ein Arzt eine ungewöhnliche medizinische Theorie, die bisher auf breiter wissenschaftlicher Ebene noch nicht erörtert wurde, anstatt in einer akademischen Umgebung und unter Menschen mit medizinische Kenntnissen öffentlich zu erörtern und zur Diskussion zu stellen, diese unter Laien, die einfache Patienten und Nutznießer der Medizin sind, zur Diskussion stellt, und zwar unter Missbrauch seines Fachwissens und seiner Fachsprache und versucht, seine Ansichten durchzusetzen, so hat er den Menschen in der Tat Unrecht zugefügt. Hier liegt bereits ein Missbrauch der Redefreiheit vor, und so etwas darf die Gesellschaft nicht zulassen. Das Vorgehen dieses Arztes ist vergleichbar mit jemandem, der auf politischer Ebene unter Anwendung von Mitteln der Unterdrückung und Missachtung der demokratischen Methoden und Wege versucht, an die Macht zu kommen.Auch der emotionale Missbrauch von Menschen, z. B. ihrer Zuneigung und Liebe für das Urteilen in fachlichen Debatten und Themen ist eine Vorgehensweise, die völlig gegen die Vernunft gerichtet und als undemokratisch anzusehen ist.Der Islam beschränkt die Rede- und Denkfreiheit nicht, auch nicht hinsichtlich der Analyse und Kritik von religiösen und theologischen Gedanken. Eine Voraussetzung jedoch, die von Analytikern erfüllt werden muss, liegt in der Beachtung des Aspekts, dass die Beweisführung für die systematische Theologie in jeder Religion ein Fachthema ist, das nur in seinem speziellen Kontext analysiert werden kann, d. h. in Anwesenheit von Menschen, die die für die Debatte und letztlich für das Urteilen und die Entscheidungen notwendigen wissenschaftlichen Voraussetzungen mitbringen. Kriterien und Ordnungen der Methodenlehre der Redefreiheit Eine andere Art von Ordnung der Rede- und Gedankenfreiheit ist die Ordnung der Methodenlehre. Das impliziert, dass sich Redner, Wissenschaftler und Intellektuelle gemäß der wissenschaftlichen Methoden und Vorgehensweisen äußern, was in der Erkenntnislehre zur Ordnung der Methodenlehre gehört. In diesem Sinne können medizinische Theorien nicht mittels einer mathematischen oder metaphysischen Aussagemethodik dargelegt werden. Der Hinweis auf die Anwendung der richtigen Methodenlehre ist ein Hinweis auf die Richtigkeit der Behauptungen und Schlussfolgerungen an sich. Die Anwendung einer falschen, abweichenden Methodik gilt im Islam als unsicher und unzuverlässig.Darüber hinaus legt der Islam Wert auf die genaue Kenntnis der Wege, auf denen Wissen und Informationen erlangt werden, und empfiehlt den Menschen, die Zuverlässigkeit und Richtigkeit der Informationswege und -quellen zu überprüfen und sicherzustellen, bevor sie den Informationen und Erkenntnissen Vertrauen schenken und ein Urteil fällen. Informationen aus unklaren, zwielichtigen Quellen, die zudem mit offenkundigen Lügen und Widersprüchlichkeiten durchsetzt sind, darf folglich kein Vertrauen geschenkt werden.Hierzu sagt Gott, der Erhabene, im Qur’an (Sure 49, Vers 6), dass wenn z. B. einFrevler mit einer Nachricht kommt, man deren Richtigkeit eindeutig feststellen muss, damit man anderen aus Unwissenheit nichts antut, was man später eventuell bereuen müsste. Ein solches schändliches Verhalten ist nicht nur für die traditionelle Gesellschaft charakteristisch, sondern auch in der modernen Gesellschaft sehr präsent.Wenn der Prozess der Informationsvermittlung in den pluralistischen Gesellschaften zum Monopol einer bestimmten Gruppierung wird, hat die Freiheit der Rede und der Gedanken keine Bedeutung mehr. Selbst da, wo von einem Medienmonopol verschiedene Gedanken ausgehen und verbreitet werden, kann auf die vermittelten Informationen nicht vertraut werden, da sie ein und derselben Quelle entstammen und deshalb als uniformes Produkt anzusehen sind.Der Heilige Qur’an hat in dem genannten Vers in Bezug auf die Verbreitung und Vermittlung von Nachrichten und Informationen eine wichtige Regel festgelegt, nämlich das Prinzip der Untersuchung und der Interpretation. Dieses Prinzip lehrt uns, dass jede vermittelte Aussage, Nachricht und Information notwendigerweise richtig und klar sein muss. Nach Aussagen des Qur’an sind Medienmonopol und Zensur von Nachrichten pharaonische Methoden. Pharao ist der Name einer im Qur’an erwähnten verabscheuten Persönlichkeit, dessen Endziel die Versklavung der Menschen und die Errichtung einer Weltherrschaft war; diesbezüglich berichtet uns der Qur’an, dass Pharao seinem Volk erklärte, er sei die höchste Macht und der Besitzer der Menschen.Der Qur’an bezeichnet die Monopolisierung der Mitteilungen als eine der wichtigsten und wirksamsten Methoden des Pharao, mittels der er sein elendes Ziel erreichen wollte, und im Qur’an wird seine Aussage in Sure Ghāfir, Vers 29, angeführt, wo Pharao in seiner Überheblichkeit betonte, dass er seinem Volk den Weg der Rechtschaffenheit zeige, obgleich er es ins Unglück führte. Zusammenfassend können wir festhalten, dass gemäß den Erläuterungen des Qur’an Monopolisierung und fehlender Pluralismus der Medien eine pharaonische Methode ist.Im Gegensatz dazu sind alle Bemühungen des Islam auf die Beschaffung von Kenntnissen und Informationen ausgerichtet, die eine gesunde und reine Vernunft hervorbringen können. Das bedeutet, dass Nachrichten, Informationen und Kenntnisse, die den Menschen vermittelt werden, ein richtiges und wahrhaftiges Bild von der Realität wiedergeben müssen, damit dem Menschen eine bewusste Entscheidungsfindung ermöglicht wird. Aus diesem Grunde werden die Theorie der klaren Beweise und der Überprüfung der Nachrichten, sowie die Notwendigkeit der Medienvielfalt und der Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Nachrichtenquellen als notwendige Voraussetzung für die Realisierung der Rede- und Gedankenfreiheit dargelegt.Dies ist leider etwas, woran es in der heutigen Welt offensichtlich mangelt. Obgleich heutzutage die Redefreiheit und die Notwendigkeit eines freien Informationsprozesses und -flusses betont werden, haben im Gegensatz dazu Medienimperien die Vermittlung und Analyse der Nachrichten und damit die Führung der Gedanken der Menschen unter ihre Kontrolle gebracht. Sie versuchen, die Urteile und Meinungen der Menschen in eine ihnen nützliche Richtung zu manipulieren, in dem sie zum Beispiel die Entehrung und Beleidigung der Achtung und Würde der Heiligen Stätten von Nadschaf und Karbala, die von mehr als einer Milliarde Moslems geachtet und geehrt werden, nicht als verabscheuungswürdig und schlecht darstellen, sondern als Versuche zur Schaffung einer demokratischen Herrschaft und zum Schutz und zur Sicherung von Freiheit. Die Geschichte hat aber gezeigt, dass das wache Gewissen der Menschen in der Welt beim Fällen wichtiger Entscheidungen die Intrigen und den Verrat aller Medien zunichte macht. Abschließend möchte ich zum Beginn des Monats Radschab gratulieren, der einer der drei von Gott besonders auserwählten Monate ist. Der Monat Radschab ist eine sehr gute Gelegenheit, sich zu verbessern und die sittliche Erziehung der eigenen Persönlichkeit und die Stärkung der spirituellen Kräfte zu erreichen. Dieser Monat sollte als Vorbereitung für ein gutes Eintreten in den Monat Ramadan genutzt werden.Das Islamische Zentrum Hamburg bietet die Gelegenheit, am 13., 14. und 15. dieses Monats die spirituelle Zeremonie und den Gottesdienst der inneren Zurückgezogenheit (E’tikaf) durchzuführen. Wir erhoffen uns von diesem Monat, von dem es sich ziemt, ihn zu nutzen, dass er seine Wirkung erzielen wird.