Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen seien mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm), und seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen), die seine Lehren verbreitet und erläutert haben. Wir haben bisher festgestellt, dass „Dschihad“ aus der Sicht des Qur’an jede ernsthafte Anstrengung auf dem Weg zu guten und gütigen Taten bezeichnet. Eine wichtige und gute Tat, die der Qur’an als Beispiel für den „Dschihad“ auf dem Wege Gottes sieht, ist das Verteidigen und der Schutz des Lebens. In den bisherigen Ausführungen wurde erklärt, dass das Leben und die Existenz aus qur’anischer Sicht heilig sind, und deshalb stellt jedes Bemühen für den Schutz des eigenen Lebens und das der anderen eine angesehene und heilige Tat dar. Das Leben ist ein Geschenk Gottes, und Er beschreibt das Leben im Qur’an als von Seinem Geist gegeben. Der Qur’an sagt über die Existenz des Menschen:Leben ist das große Recht eines jeden Menschen, das aus der Schöpfung Gottes resultiert. Gott hat den Menschen geschaffen, und Er hat ihm dieses große Recht des Lebens geschenkt. Dieses Recht ist so wichtig, dass alle anderen Rechte des Menschen von diesem Recht abhängen; ohne das Leben hat kein anderes Recht Bedeutung. Diese Bedeutsamkeit und dieser Wert bewirken, dass im Islam das Leben nicht als ein einfaches Recht, gleich den anderen Rechten des Menschen gesehen wird, sondern das Leben ist eine heilige Gelegenheit und muss geschützt werden. Aus islamischer Sicht darf niemand das Recht auf Leben einer Person schädigen und beeinträchtigen, und auch der Mensch selbst darf sein Leben nicht schädigen und vernichten. Jede Art der Schädigung des eigenen Lebens oder des Lebens anderer ist vor Gott eine große Sünde, und es gibt keine größere Sünde als diese. In der Rechtswissenschaft bedeutet Recht eine Möglichkeit, d. h. der Besitzer kann darauf verzichten oder es jemand anderem übertragen. Das Eigentum ist ein solches Recht, von dem man Gebrauch machen kann. Deshalb kann man sein Eigentum so verwalten, wie man will, und man kann es auch jemand anderem schenken. Ist das Leben eigentlich ein Recht, auf das man wie auf andere Rechte verzichten kann, und kann man das Recht auf Leben einem anderen schenken? Kann der Mensch auf sein Leben verzichten? Der Qur’an beantwortet diese Frage in aller Deutlichkeit mit „Nein!“. Das Leben ist ein Recht des Menschen, aber dieses Recht ist so wichtig und wertvoll, dass der Schutz des Lebens notwendig und wichtig ist. Zwei Arten von Rechten Grundsätzlich werden im islamischen Recht die Rechte in zwei Kategorien unterteilt. Ein Teil davon ist wie das Recht auf Eigentum, das bereits erklärt wurde; der Mensch kann als Besitzer dieses Rechts davon Gebrauch machen wie er will. Ein anderer Teil der Rechte ist so wichtig, dass man davon Gebrauch man und für dessen Schutz sich der Mensch bemühen muss. Dieser zweite Teil des Rechts, der in den islamischen Quellen als Gebot (½ukm) bezeichnet wird, kann und darf im Gegenteil zum ersten Teil der Rechte keinem anderen übertragen werden. Der Schutz dieser Rechte ist notwendig. Deshalb sind die anderen und auch der Mensch selbst diesem Recht gegenüber verantwortlich. Er kann nicht sagen, dass dieses Recht sein eigenes Recht ist und er darauf verzichtet, und er darf dieses Recht nicht beeinträchtigen. In diesem Fall wird das Recht eine Pflicht, die man wahrnehmen muss und für die man verantwortlich ist. Dieses Recht muss man schützen.[1] Der Mensch muss von seinem Recht Gebrauch machen und darf es nicht ignorieren. Das Recht auf Leben steht im zweiten Teil dieser Kategorisierung ganz oben.[2] Jeder Mensch ist für sein Leben verantwortlich, und er ist verpflichtet, sein Leben zu schützen. Der Qur’an sagt jedem Menschen mit aller Deutlichkeit, dass er sein Leben nicht schädigen darf.[3] Deshalb ist Selbstmord verboten und genau so, als würde man jemand anderen umbringen. Niemand kann damit argumentieren, dass das sein eigenes Leben ist und er sich selbst Schaden zufügen darf. Es ist eine allgemeine Regel, dass der Mensch sein Recht schützen soll. Deshalb ist es inakzeptabel, dass er eines seiner Rechte nicht verteidigt, wenn es bedroht ist. Das wäre vergleichbar mit der Behauptung, der Mensch habe zwar ein Recht auf Leben, aber kein Recht auf Hygiene und Sauberkeit. Hygiene verhindert Dinge, die Gesundheit und Leben gefährden; deshalb schließt das Recht auf Leben gleichzeitig das Recht auf Hygiene ein. Gleichermaßen hat derjenige, der das Recht auf Eigentum hat, auch das Recht, sein Eigentum zu verteidigen. Das Recht auf Leben gibt uns das Recht, dieses Leben zu verteidigen. Der Unterschied besteht darin, wie bereits erwähnt wurde, dass das Recht auf Leben kein einfaches Recht ist, sondern es ist ein wichtiges Recht und gehört zur zweiten Kategorie der Rechte, d. h. es ist ein Gebot, das notwendigerweise geschützt werden muss. Es fängt mit der Berücksichtigung von Hygiene an und umfasst die Bekämpfung von allem, was das Leben bedroht. Mit dieser Erklärung kann man die Bedeutsamkeit „der Verteidigung des Lebens“ gemäß der Logik des Qur’an verstehen. Jede Anstrengung zum Schutz und für die Verteidigung des Lebens ist eine heilige Tat, und das ist ein Beispiel für die Anstrengung auf dem Gottesweg, weil der Mensch mit seiner Anstrengung auf diesem göttlichen Weg das höchste Geschenk, das er von Gott erhalten hat, verteidigt. Warum ist in vielen Qur’anversen von Krieg und Verteidigung die Rede? Aus der Untersuchung des historischen Kontextes der Offenbarung des Qur’an und des Prophetentums Mohammads (s.a.s.) geht deutlich hervor, dass Töten, Blutvergießen und das gewaltsame Aneignen des Eigentums anderer mittels Krieg eine Tradition war. Deshalb bezeichnet der Qur’an diese Epoche als die „Epoche der Torheit“.[4] In der Epoche der Torheit genügte ein geringfügiger Anlass, um Krieg und Blutvergießen herbeizuführen, und wenn eine Person oder eine Gruppe von Menschen eine andere Überzeugung als den damals üblichen traditionellen Glauben hatte, war das ein Grund dafür, ihn bzw. sie zu töten. Der Krieg blieb dann kein normaler Krieg mehr, sondern ein ganzer Stamm musste vernichtet werden. In dieser Situation waren die Muslime unter der Führung Mohammads (s.a.s.) allein, und weil sie anders dachten, wurden sie mit Gewalt unbarmherzig aus ihren eigenen Häusern und Städten vertrieben, ihre Männer wurden getötet und ihre Kinder und Frauen gefangen genommen und versklavt. Gegenüber dieser Ungerechtigkeit und diesem Verbrechen hatten der Prophet des Islam (s.a.s.) und die Muslime zwei Möglichkeiten, nämlich entweder dem Feind gegenüber nachzugeben, einem Feind, der brutal und unbarmherzig war, oder sich selbst stark zu machen, um sich verteidigen zu können. Wir wissen aus dem Qur’an, dass man das Leben schützen und verteidigen soll, und dass man ebenso die Würde des Menschen schützen soll, und so ist es nur natürlich, dass der Qur’an die zweite Möglichkeit vorschlägt und empfiehlt und die Muslime einlädt, sich zu verteidigen. Deshalb ist in vielen Qur’anversen von Krieg und Verteidigung die Rede. Man muss wissen, dass die Ausführlichkeit und Vielzahl dieser Verse über Krieg nur von der Situation der damaligen Zeit, also den damals herrschenden örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten abhängt, und die Muslime haben den Krieg niemals verherrlicht! Krieg und Gewalttaten waren eine ernsthafte Bedrohung für die Muslime, und so esist nur natürlich, dass viele Qur’anverse die Verteidigung thematisieren. Es wurde wiederholt darauf hingewiesen und betont, dass wir deshalb von vielen Qur’anversen keine tiefe und genaue Kenntnis haben können, solange wir kein Wissen über die damalige kulturelle und gesellschaftliche Situation haben. Aus dem gleichen Grund können junge Menschen, die zweite oder dritte Generation nach den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, die die Besonderheiten der damaligen Zeit möglicherweise nicht berücksichtigen und die katastrophalen Ursachen der Kriege vielleicht nicht kennen, die Philosophie und die Absicht von vielen Gesetzen und Abkommen, die nach den Weltkriegen weltweit und in manchen Ländern verabschiedet wurden, nicht verstehen. Sicherlich ist die Beurteilung eines Phänomens möglich, wenn dieses Phänomen im Rahmen seiner spezifischen Zeit und Geschichte untersucht wird. Andernfalls ist jede Untersuchung mit Berücksichtigung der heutigen Situation irreal und falsch. Es ist vergleich mit der Auswahl eines einzigen Satzes aus einem Artikel und der Beurteilung der Absicht des Autors auf der Grundlage dieses einen Satzes. Bei der Untersuchung der Qur’anverse müssen wir ebenfalls die historische Situation der Offenbarung dieser Verse berücksichtigen, und es müssen auch alle anderen Verse, die mit diesem Vers im Zusammenhang stehen, berücksichtigt werden. Deshalb muss der Qur’an insgesamt untersucht werden. Hinsichtlich der Verse im Qur’an, in denen von Krieg die Rede ist, und der Kriege, die der Prophet des Islam (s.a.s.) geführt hat, gibt es zwei Möglichkeiten: 1. Diese Verse rufen zum Krieg auf, und deshalb war es auf der Grundlage dieser Verse das Ziel und die Absicht des Propheten (s.a.s.), mit Kriegen den Andersdenkenden und Anhängern von anderen Religionen den Islam aufzuzwingen.2. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass diese Verse einzig und allein zur tapferen Verteidigung des Lebens und des Rechts auf Leben aufrufen, und dass alle Kriege, die dem Propheten aufgezwungen wurden, Verteidigungskriege waren, um Gefahren von den Muslimen abzuwenden. Wir sind historisch gesehen 1400 Jahre von damals entfernt. Wir können eine der beiden genannten Möglichkeiten akzeptieren und bestätigen, wenn wir die historischen Phänomene mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen. Wir müssen zuerst die kulturelle und gesellschaftliche Situation von damals kennen, und wir müssen jeden Vers im Kontext des gesamten Qur’ans verstehen. Das Verstehen der Bedeutung und die Interpretation eines einzelnen Verses allein sind nicht möglich. Wir werden, so Gott will, in der nächsten Ansprache die wissenschaftliche Methode zur Untersuchung der Verse über den Krieg anwenden, und wir werden die Frage beantworten, welche der zwei Möglichkeiten richtig ist. Laden diese Verse zu Angriff und Zwang im Glauben ein, oder aber zum Verteidigen des Lebens und der Würde des Menschen?Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.
[1]Grundsätzlich geht „Recht“ immer mit „Pflicht“ einher. Normalerweise ist es so, dass Verantwortung auf die anderen bezogen ist, d. h. das man das Recht anderer wahrt und schützt. Derjenige, der ein Recht hat, hat seinem eigenen Recht gegenüber keine Verantwortung. Die Verantwortung kann nur gegenüber denjenigen sein, die ihm das Recht gegeben haben. Wenn die Gesellschaft einem Menschen z. B. ein bestimmtes Recht zusteht, dann ist der Mensch nicht dem Recht, sondern der Gesellschaft gegenüber verantwortlich.In der zweiten Kategorie der Gebote, sind nicht nur die anderem dem verliehenen Recht gegenüber verantwortlich und dürfen es nicht schädigen, sondern der Besitzer dieses Rechtes selbst ist ebenfalls verantwortlich und muss dieses Recht schützen.[2] Ein anderes Recht des Menschen, das wie das Recht auf Leben ist, also zur zweiten Kategorie, d. h. den Geboten, gehört, ist das Recht auf Menschenwürde. Die Menschenwürde hat mit der Qualität des Lebens des Menschen zu tun. Der Mensch ist verpflichtet, sein Leben zu schützen, und gleichermaßen soll er auch die Würde seines Lebens schützen. Er soll nichts tun, was seiner Würde abträglich ist (d. h. er soll selbst nichts tun und von einem anderen kein Verhalten akzeptieren, das seine Würde beeinträchtigt).[3]Und bringt euch nicht mit euren Händen in Gefahr. (Sure al-Baqara, Vers 195. [4] Siehe Heiliger Qur’an, Sure al-MÁ’ida, Vers 50; Sure al-Fat½, Vers 26; Sure al-A½zÁb, Vers 33.