Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. Anlässlich des Beginns des Monats Rama±Án, der ein besonderer Monat bei AllÁh ist, möchte ich Ihnen für Ihre Anbetung viel Erfolg und die Annahme Ihrer Gebete wünschen.Im Hinblick auf die Tatsache, dass wir am Beginn des gesegneten Monats Rama±Án sind, erachte ich es als angemessen, am heutigen Freitag die Thematik der letzten Ansprachen, nämlich Freiheit und Menschenrechte im Islam, erst einmal beiseite zu lassen, damit wir uns in diesem Monat mit der Beziehung des Menschen zu Gott befassen.Aus islamischer Sicht gibt es keinerlei Einschränkung der Beziehung des Menschen zu Gott. Die Verbindung zu Gott braucht keine Vermittler, sondern jeder kann in jedem Zustand und mit jedem Verhalten – auch wenn er bisher kein gutes Verhalten gezeigt oder sogar gesündigt hat, in jedem Moment die Verbindung zu Gott aufnehmen und mit Ihm reden, seine Sünden bereuen und Ihn um Hilfe und Vergebung bitten.Im Islam verstehen sich die Theologen niemals als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen, sondern auch der Theologe selbst muss wie jeder andere Mensch seine Verbindung zu Gott schaffen und hat dabei keinerlei Vorteile gegenüber den anderen. Die besondere Stellung und Funktion der Theologen im Islam resultiert aus ihrer Interpretation des Islam. Die Interpretation und Erläuterung der Religion und Theologie bedarf wie bei jeder anderen Disziplin einer bestimmten fachspezifischen Erkenntnis. Der Theologe hat als Experte für die Theologie das Recht, die religiösen Lehren zu erklären und zu interpretieren. Um es aber nochmals deutlich zu sagen: Er ist kein Vermittler zwischen dem Menschen und Gott. Gott ist der Gott aller Menschen, und die Beziehung Gottes ist zu allen Menschen gleich. Es verhält sich nicht so, dass Gott manchen Menschen näher ist, d. h. Er eine engere Beziehung zu diesem Menschen hat, während er anderen ferner ist. Gott ist allen Menschen nah, und diese Nähe wird im Heiligen Qur’Án so beschrieben, dass Gott mit den Menschen ist, wo immer sie auch sind (vgl. Sure al-¼adÍd, Vers 4). Niemand kann für sich auch nur in einem einzigen Augenblick oder an einem bestimmten Ort behaupten, Gott sei nicht bei ihm. Der genannte Qur’Ánvers betont, dass die Gesellschaft Gottes und Seine Nähe zum Menschen von Zeit und Ort unabhängig ist und einen besonderen geistigen und spirituellen Zustand des Menschen darstellt.Grundsätzlich ist mit dieser göttlichen Gesellschaft eine Nähe und Begleitung gemeint, die das menschliche Wesen betrifft. Das bedeutet, dass das Sein und Leben des Menschen auf dieser Begleitung und Nähe gründet und er ohne diese Nähe und Begleitung nicht existieren würde, d. h. er wäre tot. Aus diesem Grund ist mit dieser göttlichen Nähe und Gesellschaft niemals eine äußerliche Nähe gemeint im Sinne von zwei Phänomenen, die zusammen sind. Die Nähe Gottes zum Menschen ist vielmehr eine Nähe und Begleitung, die jedes Phänomen für sich selbst hat. Deshalb gebraucht Gott im Heiligen Qur’Án das Bild, dass Er dem Menschen näher ist als dessen eigene Halsschlagader (vgl. Sure QÁf, Vers 16), wenn Er die Stärke dieser Nähe beschreibt und gleichzeitig hervorhebt, dass damit keine materiell fassbare Nähe gemeint ist. Die Nähe des Menschen zu seiner eigenen Halsschlagader und seine Abhängigkeit von ihr sind so groß, dass seine Existenz und sein Leben davon abhängen, denn wenn seine Halsschlagader durchtrennt wird, stirbt der Mensch.Genauso verhält es sich mit der Nähe Gottes zum Menschen; das menschliche Leben bedarf dieser Nähe, und in diesem Sinne sichert die Halsschlagader die physische Existenz des Menschen, während Gott darüber hinausgehend die Existenz des menschlichen Seins sicherstellt. In dem zuvor genannten Vers wurde die Nähe Gottes zum Menschen mit der Nähe des Menschen zu seiner eigenen Halsschlagader verglichen, weil die physische Existenz ein Teil des Daseins ist und mit dem physischen Tod die Existenz des Menschen nicht endet.Wir können also festhalten, dass Gott dem Menschen so nahe ist, dass selbst wenn der Mensch es möchte, er Gott niemals aus seiner Nähe entfernen kann. Er kann sich aber selbst von Gott entfernen. Die Entfernung des Menschen von Gott ist eine aus Erkenntnis resultierende Entfernung, d. h. der Mensch kann sein Leben so gestalten, dass er Gott vergisst und die göttliche Nähe und Begleitung außer Acht lässt. Gott ist einem Menschen, auch wenn dieser sündigt, niemals fern. Ein sündiger Mensch wird je nach Sünde die Nähe und Gesellschaft Gottes nicht spüren, und aus diesem Grund wird die Sünde in der islamischen Lehre als Schleier und Vorhang bezeichnet. Genauso wie ein Vorhang oder Schleier etwas verbirgt und verhindert, dass es erblickt wird, verschleiert auch die Sünde die innere Wahrnehmung des Menschen, wodurch verhindert wird, dass man Gott mittels Vernunft und Herz wahrnimmt.Mit der Anzahl der Sünden und schlechten Taten nimmt die Undurchdringlichkeit der Vorhänge und Schleier zu. Deshalb wird das unwirkliche künstliche Gefühl der Entfernung von Gott im Menschen verstärkt. Mit künstlichem Gefühl ist gemeint, dass der Mensch den Fehler begeht, sich von Gott zu entfernen, so dass Gott in seinem Leben keine Rolle spielt. In Wahrheit verhält es sich aber wie bereits erwähnt so, dass Gott dem Menschen nahe ist und sein Dasein und Leben auf der Nähe und Gesellschaft Gottes gründen. Das ist der Grund, warum das Gefühl des Menschen als künstlich oder falsch bezeichnet wird. Dieses falsche Gefühl kann im Menschen mit der Zeit so stark werden, dass er Gott grundsätzlich vergisst und Ihn in seinem Leben ignoriert, und dass er schließlich davon ausgeht, dass Gott in seinem Leben keine Rolle spielt und er sich Gott gegenüber nicht als bedürftig ansieht. Der Qur’Án bezeichnet diesen Vorgang als die Krankheit der Vergesslichkeit. Krankheit ist ein Zustand, der für den Menschen ein unnatürliches Befinden darstellt; der Kranke ist jemand, der keinen gesunden natürlichen Zustand mehr hat. Seiner Natur entsprechend behält der Mensch alle Wahrheiten des Lebens bei sich, und aufgrund der Tatsache, dass aus qur’Ánischer Sicht die Begleitung und Nähe Gottes zum Menschen die grundsätzlichste und wichtigste Wahrheit der Existenz ist, leidet ein Mensch, der diese Wahrheiten ignoriert, an der Krankheit der Vergesslichkeit. Die Vergesslichkeit ändert die Wahrheit nicht. Ein Mensch, der z. B. an Alzheimer leidet, vergisst, was existiert, aber mit seiner Vergesslichkeit verschwinden nicht die Wahrheiten. Das bedeutet, auch bei Vergesslichkeit wird Gott nicht aus dem Leben des Menschen verschwinden, sondern Er wird nur ignoriert. Und das ist genau der Punkt, von dem der Qur’Án spricht, dass nämlich die Entfernung des Menschen von Gott nichts anderes ist als Gottvergessenheit.Ein wichtiger Punkt, den der Qur’Án sehr subtil erläutert ist der, dass es für die Krankheit Gottvergessenheit auch einen anderen Namen gibt, nämlich Selbstvergessenheit. Das heißt, jeder, der von der Krankheit Gottvergessenheit befallen ist, leidet den zuvor dargelegten Gründen zufolge notwendigerweise auch unter der Krankheit der Selbstvergessenheit. Die Gesellschaft und die Nähe Gottes zum Menschen sind nicht identisch mit der Gesellschaft und Nähe zweier Phänomene. Was die Begleitung und äußere Nähe zwischen zwei Menschen anbelangt, so stellt die Trennung der beiden voneinander keine notwendige Wechselbeziehung im Sinne eines Verschwindens oder Vernichtens dar. Das bedeutet, selbst wenn einer von beiden vernichtet wird, existiert der andere weiter. Auch die spirituelle und geistige Nähe gehört zur äußerlichen Nähe, weil mit der äußerlichen Nähe jede Art von Nähe und Gesellschaft gemeint ist, die außerhalb des Wesens des Phänomens liegt und die für das Weiterleben und die Existenz des Menschen keine Bedeutung hat. Die Mutterliebe zum Kind ist z. B. ein im Inneren der Mutter vorhandenes Gefühl, das sie begleitet und in ihr ist, aber die Existenz der Mutter ist von dieser Liebe unabhängig. Die Stärke der Liebe, gleich wie stark sie ist, kann höchstens die materielle Existenz beeinflussen, aber in der Existenz des Seins, d. h. dem Dasein des Menschen im Universum hat sie keine Wirkung. Aber die Gesellschaft und Nähe Gottes zum Menschen unterscheidet sich klar von einer solchen Zusammengehörigkeit. Diese göttliche Begleitung ist mit dem Wesen und der Substanz des menschlichen Seins verbunden, so dass, wenn es keinen Gott gäbe, es auch keinen Menschen geben würde. Gottvergessenheit bedeutet das Vergessen der Identität und des Daseins des Menschen, und ein Mensch, der Gott vergessen hat, ist genau der Mensch, der von der Krankheit der Selbstvergessenheit befallen ist, und der die wichtigsten Angaben bezüglich des Lebens vergessen hat, nämlich: Wer ist er? Woher kommt er? Wer hat ihn hierher gebracht? Warum ist er hierher gekommen? Und wohin ist er gekommen? Wohin wird er gehen? Dieses sind die wichtigsten Angaben des Lebens, die dem Menschen, der Gott vergessen hat, entfallen sind. Aus diesem Grund betont der Qur’Án die Gefahr dieser Krankheit und warnt den Menschen davor, wie z. B. in Sure al-¼aÊr, Vers 19, wo betont wird, dass Gott jene ihre eigenen Seelen vergessen ließ, die Ihn vergessen haben.Mit der starken Betonung auf die prophetische Lehre und Bildung des Menschen hat Gott die Voraussetzung für die entsprechende Stärke des Menschen geschaffen, die ihn vor dieser Krankheit schützt. Darüber hinaus hat Er den Menschen Gelegenheiten geschaffen, die, wenn er sie nutzt, seine dunklen Schleier der Sünde beseitigen und ihn das Licht der Wahrheit sehen lassen. Eine solche außergewöhnliche Gelegenheit ist der gesegnete Monat Rama±Án, an dessen Anfang wir stehen, und dessen Merkmale ich in den nächsten Ansprachen ausführlicher darlegen werde.Die am besten geeignete Ansprache für den heutigen Tag ist die Ansprache des großen Propheten des Islam, Mu½ammad (k), die er am Beginn des gesegneten Monats Rama±Án gehalten hat, und in der es unter anderem heißt:„O Leute, Allahs Monat Ramawan ist mit göttlichen Gnaden und Segnungen gekommen. Dies ist der Monat, der in der Einschätzung Allahs der beste aller Monate ist. Seine Tage sind die besten unter den Tagen. Seine Nächte sind die besten unter den Nächten. Seine Stunden sind die besten unter den Stunden. Es ist ein Monat, in dem ihr zur Gastfreundlichkeit Allahs eingeladen worden seid, und in dem ihr zu Angehörigen der Würde Gottes gemacht wurdet. In ihm sind eure Atemzüge Lobpreisungen, euer Schlaf Gottesverehrung. Eure Taten werden angenommen, und eure Bittgebete werden erhört werden. So ruft Allah, euren Herrn, mit ehrlichen Absichten und reinen Herzen an, dass er euch beistehen möge bei dem Fasten für Ihn und dem Rezitieren Seines Buches. Derjenige, der in diesem mächtigen Monat nicht die Gnade und das Wohlwollen Allahs empfängt, ist sehr unglückselig.“ Deshalb rufen wir, dem Vorbild des göttlichen Propheten folgend, in größter Not: O Gott, gewähre uns in diesem Monat Erfolg für unser reines Fasten, Qur’Ánlesen und Nachdenken, und möge uns Deine Barmherzigkeit und Gnade schützen. Amin.