Hojjatoleslam Dr. Seyyed Mohammad Nasser Taghavi
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen
Lobpreis sei Gott, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen seien mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. Ich rate mir selbst und Ihnen zu Frömmigkeit und Gottesfurcht. Die Enthaltsamen bereuen die Sünde, die Mystiker erbitten Verzeihen
Frömmigkeit: Aufgeben der Beharrlichkeit und des Hochmutes
Von Imam þAlÍ (a.s.) ist ein bedeutsamer Ausspruch überliefert bezüglich der Gottesfurcht, und er ist besonders wertvoll, da er aus dem Munde des Imams der Gottsfürchtigen kommt. Er sagte:
” التّقوى تركُ الأصرار على المعصية و تركُ الأفتراِ بالطّاعة “
„Gottesfurcht und Frömmigkeit bedeuten, dass man darauf verzichtet, auf der Sünde und dem Un-gehorsam Gott gegenüber zu beharren und auf seine Gottesanbetung stolz zu sein.“ Æadr al-Muta’alehÍn ÉÍrÁzÍ, TafsÍr al-Qur’Án al-KarÍm, Bd. 1, S. 238).
Ich glaube, dass dieser Satz alle Stufen der Frömmigkeit aus einer besonders schönen Perspektive er-klärt. Wenn wir uns einen Menschen vorstellen, der auf der untersten Stufe der Frömmigkeit ist, so soll er darauf verzichten, in seinem sündhaften Tun, das in seinem alltäglichen Leben normal geworden ist, zu verharren. Das stellt für ihn den Beginn des Endes seines Ungehorsams und der Höflichkeit Gott gegenüber dar. Von diesem Punkt an kann er die höhere Stufe der Gottesfurcht erreichen. Was macht aber derjenige, der sich von der Sünde gelöst hat und einzig und allein mit der Anbetung Gottes befasst ist, also derjenige, der nicht die Sünde hervorhebt, sondern die Gottesanbetung? Die Gottesfurcht eines solchen Menschen ist von einer anderen Art, und er sollte nicht stolz sein auf seine Anbetung. Es muss ihm bewusst sein, dass Gott allein die Anbetung verdient, und er soll vielmehr fürchten, Gott nicht so anbeten zu können, wie es Ihm gebührt. Deshalb kann ein solcher Mensch niemals stolz sein auf sein Gebet, und er wird auf der höchsten Ebene Gott seine Frömmigkeit und Ehrfurcht zeigen. Ein solcher Mensch wird Abstand davon nehmen, stolz zu sein, und er bittet Gott um Verzeihung dafür, dass Er Ihn nicht so anbeten kann, wie Er es verdient hat. Der persische Dichter Saadi hat in diesem Sinne ge-dichtet:
Der Diener, der seine Sünde kennt, sollte Gott um Verzeihung anbeten,
ansonsten kann keiner Gott so, wie es Ihm gebührt, anbeten.
In den letzten Freitagsansprachen waren die Ausnahmefälle hinsichtlich der Toleranz aus qur’anischer Sicht unser Thema und in diesem Kontext haben wir einige Qur’anverse erläutert, die die Grenzen der Toleranz aufzeigen und stattdessen Standhaftigkeit und Unnachgiebigkeit hervorheben.
Zusammenfassende Übersicht über die Stufen der Toleranz im Heiligen Quran
Unter Berücksichtung der bisher diskutierten Aspekte wird deutlich, dass der Qur’an im Umgang mit Menschen, die anders denken und ein anderes Verhalten haben als man selbst, und auch im Hinblick auf die Fehler dieser Menschen Toleranz, Freundlichkeit und Verzeihen empfiehlt. Nur in einigen Ausnahmefällen, in denen die gesundere Atmosphäre der Gesellschaft gefährdet ist und Zwang aufer-legt werden soll, werden Standhaftigkeit und Unnachgiebigkeit betont. Das bedeutet, sobald die Un-wahrheit aufgezwungen werden soll und die Irrenden verlangen, dass man ihnen folgt und die Wahr-heit ignoriert, ist eine Akzeptanz auf der Grundlage von Schönrednerei ungültig und inakzeptabel. Dann soll man gegenüber einem Schmeichler, der seine Unwahrheit mit schönen Worten durchsetzen und auf diese Weise sich selbst hervorheben möchte, hart und unbeugsam sein, wie der Qur’an fest-stellt:
„Darum richte dich nicht nach den Wünschen der Leugner. Sie wünschen, dass du dich (ihnen gegenüber) entgegenkommend verhältst, dann würden (auch) sie sich (dir gegenüber) entgegen-kommend verhalten.“ (Sure al-Qalam, Verse 8 und 9).
Demnach kann man die Stufen der Toleranz wie nachfolgend festhalten:
1. Toleranz im Sinne von Freundlichkeit und Verzeihen der Sünden und Fehler der anderen.
2. Andere zu gutem Handeln einladen.
3. Den Unwissenden, die nicht zuhören, mit Schweigen und Meiden begegnen.
4. Widerstand gegen die Feinde der Toleranz.
Wenn man diese Stufen prozentual zum Ausdruck bringen möchte, kann man zusammenfassend fest-halten, dass die ersten beiden Stufen ca. 90% unseres Verhaltens gegenüber anderen ausmachen, d. h. Toleranz und Freundlichkeit und Verzeihen und Ignorieren der Fehler anderer. In der islamischen E-thik wird dies als ta™Áfol bezeichnet, und im Zusammenhang mit diesem Thema werden wir einige Überlieferungen anführen. Bezüglich der restlichen 10% kann man sagen, dass ca. 8% der Menschen der dritten Stufe zuzurechnen sind, d. h. das sind Menschen, die unwissend sind und auf dieser Stufe bleiben, die aber ihre Unwissenheit anderen nicht aufzwingen wollen, so dass man diesen Menschen mit Distanz und Schweigen begegnen kann. Die restlichen 2% hingegen, die übrig bleiben, unterschei-den sich von den vorher beschriebenen 98% vollkommen. Sie sind Feinde der Toleranz und legen Wert darauf, den anderen ihre Unwahrheit aufzuzwingen. Über diese Art von Menschen haben wir zuvor bereits gesprochen, und diesen Menschen gegenüber muss man mit Standhaftigkeit, Unbeug-samkeit und Härte begegnen.
Die drei Stufen der Toleranz gehen aus dem nachfolgenden Qur’anvers hervor:
„Übe Nachsicht, gebiete das Rechte und wende dich von den Unwissenden ab.“ (Sure al-Araf, Vers 199).
, d. h. übe Nachsicht, ist die erste Stufe und die grundlegende Anweisung, die das Hauptprinzip in unserem Umgang mit anderen sein sollte, das bedeutet unser Verhalten soll, wie bereits erwähnt, auf Toleranz und Nachsicht basieren
„…darum vergib ihnen und bitte für sie um Verzeihung…“ (Sure Al-Imran, Vers 159).
„Und wenn einer der Götzendiener bei dir Schutz sucht, dann gewähre ihm Schutz…“ (Sure at-Tauba, Vers 6).
„Und senke deinen Fittich über die Gläubigen, die dir folgen.“ (Sure aÊ-ÉuþarÁ’, Vers 215).
, d. h. gebiete das Rechte, ist die zweite Stufe, d. h. Toleranz geht auf dieser Stufe einher mit der Einladung, Gutes zu tun. Die wahrhaft angesehen und geretteten Menschen werden diejenigen sein, in deren Verhalten Freundlichkeit und Toleranz zutage tritt und die die Menschen einladen, Gutes zu tun. Gott hat in diesem Zusammenhang gesprochen:
„Und aus euch soll eine Gemeinde werden, die zum Guten einlädt und das gebietet, was Rechtens ist, und das Unrecht verbietet; und diese sind die Erfolgreichen.“ (Sure Àl-þImrÁn, Vers 104).
d. h. wende dich von den Unwissenden ab, beschreibt die letzte der o. g. Stufen. Das bedeutet die To-leranz gebietet uns im Umgang mit unwissenden Menschen, die ihre Unwissenheit betonen und sich nicht zu guten Taten einladen lassen, dass man mit solchen Menschen nichts zu tun haben sollte, und man sollte sich mit ihnen nicht auseinandersetzen und sie einfach so lassen, wie sie sind. Würde man solchen Menschen mit der höchsten Stufe der Toleranz begegnen, würde man sie damit sozusagen bestätigen, und auf der zweiten Stufe der Toleranz, d. h. wenn die Einladung zu gutem Handeln keinen Erfolg zeitigt, käme das einer Art von Unterstützung für sie gleich. Da solche Menschen jedoch nicht die Absicht hegen, ihre Unwahrheit den anderen aufzuzwingen, bedarf es nicht der Unnachgiebigkeit und Härte, die in Ausnahmefällen geboten ist. Deshalb ignoriert und meidet man sie. Solche Menschen zu begleiten, würde bedeuten, dass man sie unterstützt, was im Heiligen Qur’an als „Bezeugen der Unwahrheit“ bezeichnet wird.
Gott sagt über die wahren Gläubigen:
„Und diejenigen, die nichts Falsches bezeugen, und die, wenn sie unterwegs leeres Gerede hören, mit Würde (daran) vorbeigehen.“ (Sure al-FurqÁn, Vers 72).
d. h. richte dich nicht nach den Wünschen der Leugner“, beschreibt wie bereits erwähnt den Ausnah-mefall, der nur selten vorkommt. Der Qur’an spricht nicht von den kÁªibÍn, d. h. den Lügnern, sondern von den mukÁªibÍn, d. h. denjenigen, die selbst Lügner sind und zum Lügen zwingen wollen. Deshalb stellt der Qur’an klar fest, dass man ihre Worte nicht annehmen und ihnen nicht folgen soll, denn sol-che Menschen wollen die anderen zwingen, ihre eigene falsche Meinungen zu akzeptieren. Diesen Menschen gegenüber darf man keine Toleranz zeigen, sondern man soll ihnen unbeugsam widerste-hen.
Das Thema werden wir bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit weiter ausführen. Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.