Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen seien mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten.Ich rate mir selbst und allen geehrten Schwestern und Brüdern zur Gottesfurcht. In der letzten Freitagsansprache wurde die Ansprache von Prophet Mohammad (s.a.s.) über den gesegneten Monat Ramadan erwähnt, in der viele Besonderheiten des Monats Ramadan aufgezeigt wurden. Die Besonderheiten dieses Monats machen deutlich, dass sich einige Zeitabschnitte im Vergleich zu anderen Zeiten unterscheiden, und deshalb soll die „heilige Zeit“ und ihre Bedeutung heute unser Thema sein. Der Glaube an heilige Begriffe, wie z. B. Gott oder Engel, oder heilige Persönlichkeiten, wie z. B. die Propheten, heilige Handlungen oder Rituale, wie z. B. die Anbetungen und Riten, das heilige Wort, das z. B. in den himmlischen Schriften enthalten ist, oder heilige Orte, wie Mekka, und letztlich heilige Zeiten, wie der gesegnete Monat Ramadan oder die Nächte der Bestimmung (Laylatu-l-Qadr), sind die grundlegenden Hauptelemente jeder Religion, die sich wie eine Achse um den Glauben an eine heilige Welt drehen. Die wichtigste Frage, auf die jede Religion antworten muss, betrifft die Verbindung zwischen der heiligen Welt und der diesseitigen Welt, in der wir leben. Gibt es grundsätzlich eine Verbindung zwischen diesen beiden Welten? Wenn ja, welcher Art ist diese Verbindung? Diese Frage wird besonders wichtig, wenn die Rede von der heiligen Zeit ist. Zeit ist ein gänzlich materielles und diesseitiges Phänomen, und darüber hinaus das wichtigste Merkmal und Symbol der Materie und des irdischen Lebens. Viele klassische Philosophen bedienen sich in ihrer Sprache des Begriffes „Zeitabhängigkeit“ wenn sie materielle und immaterielle (metaphysische) Lebewesen gegenüberstellen. Das bedeutet, die Zeitabhängigkeit ist die wichtigste Eigenschaft der diesseitigen materiellen Phänomene, und dieser Welt steht die heilige und metaphysische Welt gegenüber, die über der Zeit steht. Alle Dinge der materiellen Welt sind in der Gefangenschaft der Zeit, und es gibt nichts, was außerhalb der Zeit steht. Die Zeit ist ein Symbol und ein Merkmal der Veränderung, der Begrenztheit und Endlichkeit der Phänomene, und alles, was zeitabhängig ist, hat zweifellos einen Anfang und auch ein Ende. Alles hat an einem bestimmten Punkt in der Geschichte seinen Anfang und wird in einem bestimmten Zeitabschnitt sein Ende finden. Ist der Mensch ein Wesen, das der Zeit unterworfen ist? Die Rede ist hier nicht vom Ursprung des Menschen, denn das ist ein umfangreiches Thema für sich, aber es besteht kein Zweifel, dass der Mensch aus der Sicht der Religionen ein Phänomen ist, das nicht der Endlichkeit ausgesetzt ist.Gemäß der Vorstellung der göttlichen Religionen entwickelt sich der Mensch während seines materiellen Lebens fort und vervollkommnet sich bis er zur Jenseitigkeit und Ewigkeit gelangt. Im Qur’an wird wiederholt erwähnt, dass der Mensch Gott begegnen wird. Diese Begegnung impliziert, dass man die Grenze der Zeit überwindet und mit der Welt der zeitlichen Unbegrenztheit, d. h. der Ewigkeit, vertraut wird. Im Heiligen Qur’an wird dem Menschen gesagt: „Du Mensch! Du strebst mit aller Mühe deinem Herrn zu und sollst Ihm begegnen.“ (Al-InÊiqÁq, Vers 6). Der Glaube an den Tag der Auferstehung und das Jenseits betont die Ewigkeit des Menschen. Deshalb ist der Mensch aus islamischer Sicht zwar im diesseitigen materiellen Leben ein der Zeit unterworfenes Geschöpf, aber sein Wesen ist nicht zeitabhängig und steht letztlich über der zeitlichen Begrenztheit (d. h. er gelangt in eine Welt, die nicht der Zeitlichkeit unterworfen ist). Letztlich wird jeder Mensch mit dem Tod sein überzeitliches Wesen erreichen, in der er von der Begrenztheit der Zeit frei wird. Daraus ergibt sich aus islamischer Sicht, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist, sondern nur das Ende der „Zeit“ bzw. des zeitabhängigen Seins, und dass mit dem Tod das ewige Leben beginnt. Ist es allein der Tod, der den Menschen die Welt der Zeitlosigkeit verstehen lässt? Die Antwort auf diese Frage ist zweifellos negativ, weil der Mensch auch im diesseitigen Leben oftmals die Welt als zeit- und ortunabhängig erlebt, wenngleich diese Erfahrungen von sehr kurzer Dauer und wenig intensiv sind; derartige Erlebnisse ereignen sich nicht im normalen materiellen Leben, sondern das, was man z. B. im Traum sieht, sind Geschehnisse, die über Zeit und Ort stehen. Das ist eine Erfahrung allgemeiner Natur, die uns die Unabhängigkeit von Ort und Zeit verdeutlicht und uns gleichzeitig erkennen lässt, dass das Verständnis von einer zeitlosen Welt nicht den Tod voraussetzt. Das ist eine der wichtigsten Botschaften der göttlichen Religionen und des Islam. Aus islamischer Sicht kann der Mensch im materiellen Diesseits ungeachtet seiner Abhängigkeit von Ort und Zeit auch Einblick in die Welt gewinnen, in der Zeit und Ort keine Rolle spielen, und kann dies in seinem Leben nutzen. Aber wie ist es möglich, dass der in diesem Leben der Zeitlichkeit ausgesetzte Mensch eine solche Verbindung haben kann? Diese Frage beantwortet uns der Heilige Qur’an. Als erstes Argument wird angeführt, dass das Wesen des Menschen immateriell und folglich nicht der Zeit unterworfen ist. Der Mensch hat eine göttliche Identität, und Gott hat ihm von Seinem Geist eingehaucht (Vgl. al-¼iºr, Vers 29). Deshalb ist sein Wesen ewig und nicht der Vernichtung ausgesetzt. Diese göttliche Gnade hilft dem Menschen, sich in seinem diesseitigen materiellen Leben von der Abhängigkeit von der Zeit zu befreien und diese sogar zu überwinden. Andererseits bezeichnet der Qur’an die Welt der Natur und ihre Phänomene als „Áyeh“ oder „ÁyÁt“: „Und zu Seinen Zeichen gehört die Schöpfung der Himmel und der Erde und jeglicher Lebewesen, die Er beiden eingegeben hat…“ (As-Schura, Vers 29). Der Heilige Qur’an hat ferner die Zeit in aller Klarheit als „Áyeh“ bezeichnet und wiederholt werden darin der Tag und die Nacht als zwei „ÁyÁt“ Gottes bezeichnet: „Und zu Seinen Zeichen gehören die Nacht und der Tag und die Sonne und der Mond…“ (FuÈÈilat, Vers 37). „Und Wir machten die Nacht und den Tag zu zwei Zeichen…“ (Al-IsrÁ’, Vers 12). Was bedeutet „Ayeh“? In Qur’anübersetzungen wir der Begriff „Áyeh“ gewöhnlich als „Zeichen“ übersetzt. Aber diese Übersetzung gibt die genaue Bedeutung von „Áyeh“ nicht wieder. Die Verwendung des Begriffes „Zeichen“ ist zulässig, wenn beachtet wird, dass Zeichen nicht immer gleich sind. Manche Zeichen erlangen Gültigkeit aufgrund von Vereinbarungen, wie z. B. Verkehrszeichen, die sich auf eine bestimmte Thematik beziehen. In diesem Fall beruht die Verbindung dieses Themas mit dem Zeichen auf einer von Menschen getroffenen Vereinbarung; es gibt keine andere wesentliche und essentielle Beziehung im Hinblick auf sie, und folglich können sie durch neue Vereinbarungen auch wieder geändert werden. Ein Zeichen, das seine Bedeutung durch Vereinbarungen der Menschen gewinnt, kann durch neue Vereinbarungen oder im Laufe der Zeit eine neue und völlig andere Bedeutung erlangen oder sogar bedeutungslos werden und aus der Liste der Zeichen verschwinden. Es gibt jedoch andere Zeichen, die eine enge und tiefe Beziehung und essentielle Verbindung mit ihrem Ursprung und Inhalt haben und untrennbar damit verbunden sind, wie z. B. Rauch, der ein Zeichen des Feuers ist. Die Gültigkeit des Zeichens „Rauch“ beruht auf keiner Vereinbarung, sondern es ist ein Zeichen, dessen reale tiefe und essentielle Verbindung mit dem Thema offensichtlich ist. Alle diese Muster, Beispiele und Paradigmen führen uns zu einer Wahrheit, die nicht auf Vereinbarung beruht, sondern eine essentielle und wesentliche Beziehung und Verbindung zwischen diesen Zeichen manifestiert. Diese Verbindung ist zuweilen so stark und tief, dass die ursprüngliche Wahrheit auf das Zeichen reduziert werden kann. D. h. in diesem Fall ist die Essenz identisch mit ihrem Ursprung. In der arabischen Sprache werden für „Zeichen“ in der Regel zwei Begriffe gebraucht werden, nämlich erstens þalÁmat und zweitens Áyeh oder Áyat. Der erste Begriff findet Anwendung für Zeichen der ersten Art, also z. B. Verkehrszeichen. Der zweite Begriff ist ein qur’Ánischer Ausdruck, der für Dinge verwendet wird, die gekennzeichnet sind von einer essentiellen und wesentlichen Beziehung und Verbindung. Wenn der Heilige Qur’an z. B. die Natur als „ÁyÁt“ oder „Áyeh“ bezeichnet, ist damit nicht „þalÁmat“ gemeint, sondern es ist die Rede von der Welt der Natur als einem Königreich und der Herrschaft in Relation zu der heiligen Welt und himmlischen Welt und dem Reich Gottes, und die Grundlage dafür ist die enge Verbindung zwischen diesen zwei Welten. In der nächsten Freitagsansprache werde ich, so Gott will, diese Verbindung aus qur’anischer Sicht weiter ausführen, damit wir die Kenntnis von der Verbindung dieser Welt, in der wir leben, mit dem Licht Gottes und der heiligen Welt, nutzen können. Die heilige Welt ist die Welt des Friedens und der Freundschaft, die Welt der Ruhe und Freundlichkeit, der Güte und Schönheit, und die Kenntnis über derartige Eigenschafen der heiligen Welt kann unser Leben und unsere Welt verschönern. Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.