Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gotteås, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen seien mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. Zum Anfang des gesegneten Monats Ramadan gratuliere ich allen muslimischen Schwestern und Brüdern sehr herzlich. Der Monat, in dem man bei Gott zu Gast ist, ist die beste Gelegenheit für die innere Reinigung von allen moralischen Unreinheiten und Hässlichkeiten. Wenn man im Ramadan bei Gott zu Gast ist, sollen die Gäste Gottes darum bemüht sein, die göttlichen Eigenschaften in sich verwirklichen, um damit den Abstand zwischen Gastgeber und Gast zu verringern. Deshalb soll man diese Gelegenheit nutzen und von den einzelnen Momenten in diesem Monat Gebrauch machen, um die Spiritualität in sich zu stärken. Am Ende der letzten Freitagsansprache hatte ich versprochen, ausführlicher auf die Äußerungen von Papst Benedikt XVI. einzugehen. Das soll das Thema der heutigen Freitagsansprache sein. Die Äußerungen des Papstes sind aus dem Grund so wichtig und müssen ernsthaft reflektiert werden, weil möglicherweise bei manchen und in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden sein könnte, dass diese Rede ein Zeichen für eine Änderung der Politik des Vatikans der letzten Jahrzehnten im Hinblick auf den Dialog der Religionen und den Umgang mit den Muslimen markieren könnte. Wir hoffen, dass dieser Eindruck falsch ist, und die im Nachhinein getroffenen Feststellungen des Papstes haben diese Vermutung auch negiert und korrigiert. Letztlich hat er im Zusammenhang mit dem Islam jedoch etwas gesagt, das einer klaren und deutlichen Beantwortung bedarf, wie er selbst durch sein Interesse am Dialog mit Muslimen demonstriert hat. Um diesen Weg zu ebnen und auf diesem Weg fortzuschreiten, sollen einige Punkte bezüglich der Papstrede angeführt werden, die ich kürzlich als Brief direkt an den Papst gesandt habe, und von denen ich hoffe, dass sie Anlass für einen konstruktiven Dialog sein werden. Wir leben in einer Epoche, in der Frieden und Verständigung zwischen allen Menschen und insbesondere zwischen Religionsgemeinschaften als goldener Schlüssel für das menschliche Glück und den Weltfrieden angesehen werden. Gerade in dieser Zeit sehen wir keinen Anlass für derartige Äußerungen. Ähnliche Meinungen wurden im Mittelalter von Kirchenvertretern vertreten; aber diese führten nur zu Hass und Gewalt in zwischenmenschlichen Beziehungen. Deshalb wundern wir uns, dass in unserer aufgeklärten Welt solche Worte verbreitet werden, obwohl man gegen Hass und Gewalt predigen will. Die Kirche hat im Mittelalter im Namen der Religion und im Namen Christi (der Friede Gottes sei mit ihm) die Wissenschaft bekämpft und die Saat des Hasses unter Menschen verbreitet. „Im Namen Gottes“ wurden nicht nur Wissenschaftler und Denker bekämpft, sondern auch Juden und Muslime Opfer von Gewalttaten. Das Christentum hatte ursprünglich die Mission, Freundschaft und Frieden zu stärken, aber gerade diese Religion wurde in ungerechter Weise zu einem Werkzeug des Hasses und der Feindschaft zwischen Menschen instrumentalisiert. Zum Glück haben später aufgeklärte Kirchenführer, insbesondere Papst Johannes Paul II. sehr effektive Schritte unternommen, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Entgegen manchen falschen Interpretationen und dogmatisch-extremistischen Auslegungen ruft der Koran alle Religionsgemeinschaften in unmissverständlicher Form zur gegenseitigen Verständigung auf. Dort heißt es, dass Angehörige aller Religionen unter Bewahrung ihrer eigenen religiösen Identität und Überzeugen nach Gemeinsamkeiten suchen sollten, um sich besser zu verstehen.[1] Der Koran bezeichnet Anhänger von Offenbarungsreligionen niemals als Ungläubige (kafir). In eindeutiger Form wird von Muslimen auch der Glaube an vorangegangene Religionen verlangt. Ohne diesen Glaubensgrundsatz kann sich niemand als Muslim bezeichnen. Auch erklärt der Koran in klarer und deutlicher Form, dass manche seiner Verse aus gewissen Gründen so kompliziert und vieldeutig gestaltet sind, dass nicht alle Menschen das darin verborgene Rätsel mit einfachen Mitteln verstehen können. Der Koran weist selbst auf den komplizierten Interpretationsmechanismus dieser Verse hin, deren Auslegung besondere Qualifikationen voraussetzt, und warnt anschließend vor dem Missbrauch dieser Verse durch Böswillige und Übeltäter.[2] Glaubens- und Religionskriege werden im Koran als eine der schlimmsten Taten angesehen, für die eine harte göttliche Strafe vorgesehen ist. Damit ist ein Krieg gemeint, mit dem man Andersdenkende zur Aufgabe ihrer Überzeugung zwingen will. Genau in diesem Zusammenhang ist eine der Bedeutungen von „Unglaube“ (kufr) zu verstehen. So versteht der Koran unter „Unglauben“ den Kampf gegen anders denkende Gläubige, mit dem Ziel, diese zur Aufgabe ihrer Überzeugung zu zwingen.[3] Wenn also der Koran über Jihad und Kampf gegen Ungläubige (kafir) spricht, so ist genau diese Gruppe von Menschen gemeint, die anders denkenden Gläubigen den Kampf angesagt haben und diese unterdrücken. Niemand wird es bestreiten, dass man sich gegen so eine Gruppe verteidigen darf. Der weltweite Konsens für den Kampf gegen den Terrorismus bestätigt diesen Standpunkt. Jihad ist keineswegs mit „Heiligem Krieg“ gleichzusetzen. Vielmehr bedeutet Jihad die „Heilige Verteidigung“ gegen Unterdrückung und Kriegstreiberei von Menschen, die keine Andersdenkenden dulden und sie mittels Verherrlichung des Krieges zur Abkehr von ihrer Überzeugung zwingen wollen. Mohammad (Friede sei mit ihm) war nie ein Krieger. Er hat niemals seine Anhänger zur Rache aufgefordert, sondern rief immer zur Verzeihung der Fehler der anderen Seite auf. Der Koran sieht gerade die Besonderheit der Gläubigen darin, dass sie Schlechtes nicht mit Schlechtem vergelten, sondern durch gute Werke das Übel an den Wurzeln packen.[4] Der Koran begnügt sich aber nicht damit allein: Wenn das Übel gewaltsame Formen annimmt, so dass die gesamten Interessen einer Gesellschaft und der Menschheit gefährdet erscheinen, so folgt der Islam der Logik der legitimen Selbstverteidigung. Die Duldung von Unterdrückung und Gewalt wird in diesem Fall nicht dem Frieden und der Verbreitung des Guten dienen, sondern zur Expansion von Unterdrückung und Gewalt beitragen. In diesem Fall empfiehlt der Islam, die Unterdrückung nicht zu dulden, sondern sich zu verteidigen. Dies entspricht voll und ganz dem von allen anerkannten logischen Prinzip der Selbstverteidigung. Jihad, d. h. die „Heilige Verteidigung” ist im Islam kein Grundprinzip, sondern eine Reaktion zur Beseitigung von Unterdrückung und Gewalt. Es handelt sich also um eine Notwendigkeit, die aus der Notlage heraus legitimiert wird. Gerade deshalb erteilt der Koran den eindeutigen Befehl, die Kampfhandlungen sofort einzustellen, sobald die Aggressoren und Gewalttäter mit ihren Ausschreitungen aufhören. Beim Eintreten dieser Situation verliert die Verteidigung ihren Sinn, und es muss Frieden geschlossen werden.[5] Der Koran lobt den Frieden mehr als jeden anderen ethischen und gesellschaftlichen Wert. Der Frieden wird als ein absoluter Wert betrachtet und ohne jegliche Einschränkung als der beste Zustand bezeichnet.[6] Der Koran ist die zuverlässigste und heiligste Quelle der islamischen Vorschriften. Die Echtheit jeder Auslegung von islamischen Gesetzen und überlieferten Traditionen muss an koranischen Prinzipien gemessen werden und nicht umgekehrt. Keine Religion ist im Laufe der Geschichte vom Übel willkürlicher und fehlgeleiteter Auslegungen verschont geblieben. Dies wird auch in Zukunft der Fall sein. Es ist aber ein Fehler, falsche Auslegungen und Handlungen ohne Grund und frei von methodologisch-wissenschaftlichen Prinzipien der jeweiligen Religion zuzuschreiben. Die Geschichte des Christentums zeigt, dass im Namen Gottes und Jesu Kriege geführt und Gewalttaten legitimiert wurden. Dies ist eine historische Wahrheit. Wir wissen und beobachten aber alle, dass heute die Kirche einen anderen Weg eingeschlagen hat. Die Frage ist, welche der beiden Linien man der Bibel zuschreiben darf? Waren die Gewalttaten von damals, oder sind Frieden und Freundschaft von heute, aus der Bibel abgeleitet? Es ist also besser, wenn wir uns darauf verständigen, die gemeinsame Substanz der Religionen aufzuzeigen, die aus Frieden, Gerechtigkeit und Spiritualität besteht. Wir müssen jede Auslegung ablehnen, die dieser Substanz widerspricht. Der Koran warnt uns eindringlich davor bestimmte Verse dieses Buches zu missbrauchen. Der Koran betont, dass wir nicht einzelne Teile dieser Schrift zum Grundsatz unserer Auslegung und Handlung umdefinieren dürfen, sondern stets die Gesamtheit der Schrift betrachten müssen. Der Koran sieht daher nicht alle Handlungen der Muslime als glaubenskonform an, und ruft in erstaunlicher Weise Muslime ohne glaubenskonformes Verhalten dazu auf, sich erneut zum Glauben zu bekennen.[7] Damit hat uns der Koran vor allen Dingen uns sowohl Maßstäbe für die richtige Erkenntnis des Koran, als auch Kriterien für das richtige Handeln der Muslime geliefert. Im Koran wird der Glaube stets in deutlicher Form nach Vernunft und menschlichem Willen genannt. Gott spricht ständig die „Vernünftigen“ an und ruft den Leser ständig dazu auf, zu denken und die Vernunft zum Maßstab des Handelns zu machen. Glaube ohne Vernunft ist eine von Unwissenheit begleitete Nachahmung und ein Aberglaube. Der Gott des Islam ist der Gott Abrahams und – wie es im Koran steht – ist dieser Gott eine existierende Wahrheit. Nach der abrahamitischen Logik gilt nicht der Satz: „Gott ist wahr“, sondern das Grundprinzip lautet: „Gott selbst ist die Wahrheit“. Der Koran zeigt in deutlicher Form, wie Abraham nur durch Vernunft und Denken mit seiner natürlichen Veranlagung zur Erkenntnis dieser Wahrheit gelangt ist. Alle abrahamitischen Religionen haben sich um diese Achse herausgebildet. Allah ist im Islam ein Name, der auf diese Wahrheit hinzeigt. Aus diesem Grunde sieht der Koran in allen Religionen eine gemeinsame Substanz, und dieser gemeinsame Glaube wird als ausreichende Basis für die interreligiöse Verständigung angesehen.[8] Gott wird im Koran als eine Wahrheit bezeichnet, die alle positiven Vollkommenheiten absolut in sich vereint. Diese Wahrheit kann mit jeder guten Eigenschaft beschrieben werden, aber man kann diese Wahrheit nie auf einen einzigen gütigen Begriff reduzieren. Dem Koran nach entspringt auch der Mensch aus dieser Wahrheit, die mit den Menschen ist und ihrem Wesen innewohnt.[9] Die Beziehung Gottes zu den Menschen ist von einer derartigen Innigkeit, Freundlichkeit und Liebe, dass Gott keine Trennung zwischen sich und den Menschen sieht. So setzt sich Gott im Koran deutlich an die Stelle des bedürftigen Menschen, und sieht die Hilfe an einen bedürftigen Menschen als eine Hilfe für sich selbst an. Gott sagt im Koran: Wo ist derjenige, der Gott hilft und Ihm seine Gütigkeit hinterlässt, auf dass Gott ihm dafür ein Mehrfaches gewährt?[10] Der Prophet Mohammad sagte: „Wer einen Menschen kränkt, der hat damit Gott gekränkt.“ Aus koranischer Sicht entspringt die Substanz des Menschen der göttlichen Wahrheit; diese Substanz ist in allen Menschen vorhanden, und jeder einzelne Mensch besitzt sie allein aufgrund seines Menschseins.[11] Aus dem gleichen Grund sieht der Koran den Schutz des Lebens eines Einzelnen als gleichbedeutend mit der Wahrung der Existenz aller Menschen an.[12] Wie Sie also sehen, zeichnet der Islam von Gott ein Bild mit tiefsten menschlichen Zügen, ohne dass Gott von seiner wirklichen Stellung hinabsteigen und den Himmel verlassen muss. Aus diesem Grunde gibt es im islamischen Denken keinen „prometheischen Menschen“, der seine Existenz in Gegenüberstellung zu Gott und schließlich in seiner Opferung begründet sieht. Vielmehr kann gesagt werden, dass der Mensch von Anfang an keinen Widerspruch zwischen sich und Gott sieht, und deshalb seine Vollkommenheit darin erkennt, gottähnlich zu werden und göttlich zu leben. Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.
[1] Sure Al-Imran (3), Vers 64.[2] Ebd., Vers 7.[3] Al-Mumtahana (60), Verse 7-9.[4] Sure al-Ra`d (13), Vers 22.[5] Sure al-Baqara (2), Verse 190 und 193.[6] Sure al-Nisa (4), Vers 128.[7] Ebd., Vers 136; Sure al-hjurat, (49), Vers 14.[8] Sure Al-Imran (3), Vers 64.[9] Sure al-hadid, (57), Vers 4.[10] Sure al-Baqara (2), Vers 254; Sure al-hadÍd (57), Vers 11.[11] Sure Sad(38), Vers 72.[12] Sure al-Ma’ida, Vers 5.