Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten.Vorab möchte ich anlässlich des Todestages des geehrten Propheten des Islam (k) und seines Enkels Imam Hasan (o) mein Beileid aussprechen. Imam Hasan und Imam Husayn (o) werden von allen Muslimen geschätzt und geehrt. Von der besonderen Achtung und Liebe des Propheten für diese zwei großen Persönlichkeiten haben die islamischen Gelehrten, sowohl Sunniten wie auch Schiiten berichtet, und sie haben sie zu den Prophetengefährten gezählt, obwohl sie zu Lebzeiten des Propheten noch sehr jung waren. Der Prophet des Islam hat die besondere Persönlichkeit dieser beiden oft erwähnt und gelobt, wie z. B. in dieser Überlieferung: „Hasan und Husayn sind die zwei jungen Herren des Paradieses.“ Der Prophet des Islam ist darüber hinaus der Prophet der Gnade und Liebe und der Lehrer der erhabenen moralischen Werte. Wir Muslime sollen uns darum bemühen, unseren Abstand zu der Tradition und den Lehren dieser geehrten Persönlichkeit zu verringern. Jeder von uns soll ein Beispiel für die Moral Mohammads sein, eine Moral, die Gott im Qur’an sehr betont hat, indem Er sprach: Du Mohammad, trägst sicherlich die größten moralischen Eigenschaften in Dir. Alle müssen die Liebe, Menschenliebe, Solidarität, Spiritualität, Gerechtigkeit und den Frieden von Prophet Muhammad im Verhalten von uns Muslimen sehen, denn das ist die beste Methode, der Zuneigung und Treue zum Propheten Ausdruck zu verleihen. Der Qur’an hat als Wunder des Propheten, der das göttliche Wort beinhaltet, alle Grundprinzipien zur Erreichung der notwendigen menschlichen Ethik dargelegt. In den letzten Freitangsansprachen haben wir über die Interpretationsbedürftigkeit des Qur’an gesprochen und gesagt, dass der Qur’an in aller Deutlichkeit feststellt, dass die äußere Bedeutung eines Teils des Qur’ans nicht die eigentlich gemeinte Bedeutung ist, sondern dass diese der Interpretation bedarf. Die größte Gefahr jedoch, der die Heiligen Schriften ausgesetzt sind, sind falsche Interpretationen, die zuweilen abweichend oder extrem sind. Eine falsche Interpretation und der Missbrauch der äußeren Bedeutung bezieht sich nicht nur auf den Qur’an, sondern alle Heiligen Schriften sind dieser Gefahr ausgesetzt, und auch andere Werke sind vor dieser Gefahr nicht geschützt.Im Laufe der Geschichte wurden z. B. das Alte und das Neue Testament oftmals zur Rechtfertigung unmenschlicher Verhaltensweisen, Gewalt und Verbrechen missbraucht. Jahrhundertelang hat die despotische religiöse Herrschaft in Europa ihre Legitimation zu Unrecht auf eine spezielle Interpretation der Heiligen Schriften begründet. Das Problem der Interpretation der Heiligen Schriften liegt zwischen zwei harten und schweren Wegen. Auf der einen Seite gibt es die Gefahr der Stagnation und Oberflächlichkeit, die aufgrund der äußerlichen Bedeutung der Sätze und Ausdrücke jede Art der Interpretation verneint und ablehnt. Aus dieser Betrachtungsweise resultiert letztlich ein irrationaler Fundamentalismus, weil diejenigen, die diese Theorie vertreten, mit der modernen Welt in allen geistigen Bereichen, d. h. philosophischen, sozialen und politischen Bereichen, Kämpfe und Auseinandersetzungen führen und keine Art des Wandels akzeptieren. Sie lehnen selbst moderne Technologie mit der Begründung ab, dass das Äußere des Qur’an das nicht bestätigt. Andererseits gibt es falsche Interpretationen, die sogar Gewalt und Verbrechen rechtfertigen. Um diesen zwei abweichenden und extremen Strömungen fernzubleiben, bedarf es Maßstäbe und Prinzipien, die den goldenen Mittelweg und eine gemäßigte und sichere Methode für die Interpretation und den Gebrauch der Heiligen Schriften vermitteln. Unter den Heiligen Schriften der Religionen hat der Qur’an die Besonderheit, dass er selbst mit aller Deutlichkeit dieses Problem erwähnt und eine Lösung dafür vorschlägt: Er ist Gott, Der dir, Mohammad, den Qur’an offenbart hat. Ein Teil dieses Buches sind eindeutige Verse, und diese Verse sind das Hauptprinzip und der Maßstab des Buches. Und ein Teil der Verse sind mehrdeutig und unklar. Diejenigen, die kranke Herzen haben, ignorieren die eindeutigen Verse und suchen sich die unklaren Verse als Maßstab für ihre Taten aus mit der Absicht, Unruhe zu stiften. Abweichend von der wesentlichen Botschaft des Qur’an interpretieren sie diese Verse, obwohl über die Benutzung und Interpretation der mehrdeutigen Verse außer Gott und denjenigen, die eine tiefe Kenntnis[1] haben, kein anderer Kenntnis hat. Und sie sagen: Wir glauben an die Gesamtheit des Qur’an und die Gesamtheit der qur’anischen Verse, d. h. an die eindeutigen und die mehrdeutigen Verse, die uns von Gott offenbart wurden. (vgl. Sure Àl-þImrÁn, Vers 7). Gott hat in diesem Vers drei wichtige Punkte betont:1. Die Interpretierbarkeit des Qur’an, d. h. zumindest manche mehrdeutige Verse können ohne Interpretation und Auslegung nicht verstanden werden.2. Die Möglichkeit der falschen und missbräuchlichen Interpretation der qur’anischen Verse.3. Die Interpretation des Qur’an und insbesondere der mehrdeutigen Verse hat eine besondere Methodik, die vor Missbrauch schützt, wenn man vollkommen an ihr festhält. Mit dieser Erklärung erhält die Erkenntnis über den Mechanismus und die Methode des Verstehens und der Interpretation des Qur’an eine besondere Bedeutung. Selbstverständlich bedarf diese Diskussion mehr Zeit, aber in diesem zeitlich beschränkten Rahmen, sollen zumindest die wichtigsten Punkte erwähnt werden, die bei der Interpretation und dem Verstehen des Qur’an berücksichtigt werden müssen. Ineinander verwobene qur’anische Verse Das erste Prinzip, das bei der Interpretation und dem Verstehen des Qur’an berücksichtigt werden muss, ist das Prinzip der ineinander verwobenen Qur’anverse. Der Redner im Qur’an ist Einer, und Er ist Gott. Sowohl im Qur’an als auch in den Lehren des Propheten des Islam wird oft mit aller Deutlichkeit betont, dass der Qur’an Gotteswort ist, d. h. die qur’anischen Verse stehen miteinander im Zusammenhang und sind miteinander verbunden. Der Qur’an ist keine Ansammlung verstreuter Wörter, die voneinander getrennt sind, sondern sie stehen in engem Zusammenhang miteinander. Auf die gleiche Weise, wie man eine Rede nicht auf die anfänglich gesprochenen Worte reduzieren und die im Verlauf der Rede dargelegte Argumentation außer Acht lassen kann, muss man berücksichtigen, dass das Wort Gottes im gesamten Qur’an vom ersten bis zum letzten Vers eine Einheit und einen Zusammenhang bildet, und diese als eine miteinander verbundene Gesamtheit zu sehen sind. Jedes Teil kann nur im Kontext der Gesamtheit des Qur’ans interpretiert und verstanden werden. Im Qur’an ist die Rede von jenen, die das Gotteswort in Einzelteile trennen und an einen Teil davon glauben und andere Teile ignorieren. Aus qur’anischer Sicht sind das diejenigen, die sich um ihrer eigenen Vorteile willen und um ihr Verhalten und ihre Ideen zu rechtfertigen oder auch aus Unwissenheitmit einem Teil vom Qur’an beschäftigen, anstatt den Qur’an in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen und an ihn zu glauben. Aus qur’anischer Sicht ist die Reduzierung des gesamten Qur’an auf einen Teil gleichbedeutend mit der Ablehnung der gesamten Schrift, und die daraus resultierenden gewaltigen Verluste und Schäden für das Schicksal im Jenseits sind schlimmer als für jene, die den Qur’an ablehnen oder nicht daran glauben. In dem erwähnten Vers aus der Sure Àl-þImrÁn wird in aller Deutlichkeit gesagt, dass die mehrdeutigen und unklaren Verse im Kontext der eindeutigen und vollkommen klaren Verse interpretiert werden müssen. Die grundsätzliche und systematische Sicht bei der Qur’aninterpretation Aus den Worten Gottes, wonach die mehrdeutigen Verse mit Hilfe der eindeutigen Verse interpretiert werden müssen, geht eine besondere Methodologie für die Interpretation und Benutzung des Qur’an hervor. Bei dieser Methode, die durch den Gehalt des Qur’an legitimiert ist, wird der Qur’an erstens als eine ineinander verwobene Menge und Gesamtheit dargestellt. Deshalb sehen wird, dass Gott die Interpretation und Beschäftigung mit dem Qur’an denjenigen überlassen und diejenigen dafür legitimiert hat, die eine tiefe Kenntnis und ein hohes Bewusstsein haben. Der Qur’an bezeichnet diese Menschen als „rÁse¿Úna fÍ þilm“, d. h. die gründlich Wissenden, die eine tiefe Kenntnis vom Qur’an erlangt und die Oberfläche hinter sich gelassen haben und in die Tiefe vorgedrungen sind. Gemäß den Besonderheiten derjenigen, die zur Interpretation dieser Schrift berechtigt sind, sollen sie an dieses Buch in seiner Gesamtheit glauben. Wie bereits erwähnt wurde, ist ein Teil vom Qur’an, auch wenn er viele Verse umfasst, immer nur ein Teil. Das verdeutlicht nochmals, dass diejenigen, die den Qur’an interpretieren dürfen, den gesamten Qur’an beachten und sich nicht nur auf einen Teil des Qur’an konzentrieren. In der Fortsetzung dieses Verses wird die grundsätzliche Sichtweise dieser gründlich Wissenden mit den Worten hervorgehoben: Wir glauben an dieses Buch und die Gesamtheit der Verse, die von Gott herabgesandt wurden. (Vgl. Sure Àl-þImrÁn, Vers 7). Hier muss man dieser grundsätzlichen oder ganzheitlichen Sicht beim Verstehen und Interpretieren der qur’anischen Verse, die der Qur’an so sehr betont, ein wenig mehr Beachtung schenken. Wenn im Qur’an die Gesamtheit betont wird, muss man wissen, dass Gesamtheit z. B. nicht nur eine Menge von Menschen ist, die nebeneinander stehen. Die Gesamtheit ist eine Menge von Menschen, die in Verbindung miteinander stehen. Das Nebeneinander einer Gesamtheit bedeutet nichts anderes, als dass einzelne Menschen getrennt voneinander nebeneinander stehen, d. h. das ist eine Gesamtheit von einzelnen Teilen, wie wenn wir z. B. sagen 1+1+1+1=4. Aber das Miteinander bringt eine enge Verbindung der Menschen zum Ausdruck, d. h. Verbindung der Menschen birgt eine Bedeutung. Dieses Miteinander der in Verbindung stehenden Menschen bringt ein anderes Ergebnis zustande als die Summe der Einzelteile. Im Arabischen werden dafür zwei Begriffe benutzt: Einmal der Begriff ºamÍþ, der für das Nebeneinander der Menschen steht, und zum anderen der Begriff maºmÚþ, der für das Miteinander der in Verbindung stehenden Menschen gebraucht wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen wird so erklärt: Das Nebeneinander verursacht Pluralismus, aber das Miteinander bewirkt die Schaffung von Einheit. Selbstverständlich hat diese Einheit eine andere Bedeutung und bringt einen anderen Begriff hervor als die Addition der Zahl der einzelnen Menschen, die nebeneinander stehen. Kenntnis und Bewusstsein von der Theorie der Systeme kann bei der Erklärung und Interpretation des Gesagten helfen. Die inhaltliche Verbindung zwischen den qur’anischen Versen deutet auf ein Erkenntnis- und Bedeutungssystem oder mehrere Systeme in der Gesamtheit des Qur’an hin. Von diesen Systemen sind manche haupt- und andere nebensächlich, wobei natürlich die Nebensysteme im Kontext der Hauptsysteme verstanden und interpretiert werden müssen. Abgesehen von den Aussagen und Erklärungen im Qur’an berichten der Prophet des Islam und religiöse Persönlichkeiten von Versen, die aufhebend oder aufgehoben, zusammenfassend oder klar, erklärend oder verkürzend, allgemein oder besonders, absolut oder eingeschränkt sind. Hierzu eine kurze Erklärung: Manche Gebote im Qur’an sind zeitabhängig und temporär, d. h. sie gehören zu einer bestimmten Zeit, und nachdem diese Zeit vorüber ist, haben sie für die nachfolgenden Zeiten keine Wirkung mehr und können nicht mehr praktiziert werden; d. h sie werden in ein historisches Phänomen umgewandelt. Eine solche Wandlung oder Veränderung nennt man „nas¿“ (Fristende), und ein Vers, dessen Frist zu Ende ist, wird mansÚ¿ genannt. Die Verse, die für ein Gebot ein Fristende und dessen Ersetzung durch ein kommendes Gebot erklären, werden nÁsi¿ (beendend) genannt. So gibt es auch manche Qur’anverse, die ein Gebot für allgemein und grundsätzlich erklären, und im Gegensatz dazu gibt es Verse, die diese Allgemeingültigkeit aufheben. Erstere nennt man þÁm und absolut (muÔlaq), letztere ¿ÁÈ oder muqayyad (eingeschränkt). Es ist immer so, dass das Eingeschränkte das Absolute einschränkend bestimmt. Selbstverständlich kann man ohne systematische und grundsätzliche Kenntnis die Qur’anverse nicht auf diese Art und Weise unterteilen und kategorisieren und das Verhältnis zueinander (d. h. welche Verse z. B. eingeschränkt oder absolut sind) bestimmen. Deshalb betont der Qur’an mit aller Deutlichkeit, dass die Hauptbedingung für die Interpretation und die besondere Eigenschaft eines Exegeten eine tiefe Kenntnis und die Fähigkeit der ganzheitlichen Sicht ist. Die religiösen Lehren stellen unmissverständlich fest, dass ein Teil des Qur’Án den anderen Teil interpretiert.Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.
[1] Diejenigen habe eine tiefe Kenntnis, die den Qur’an in seiner Gesamtheit verstehen.