Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten.Zu Beginn möchte ich mein tiefes Bedauern über die traurigen Ereignisse hinsichtlich der Zerstörung der Grabstätten von zwei geehrten Imamen und großen geschätzten Persönlichkeiten, die die Kinder des Propheten des Islam sind, und meinen Respekt und meine Hochachtung für diese wissenden Imame zum Ausdruck bringen. Zweifellos bewirken solche Taten statt Frieden und Verständnis zwischen den Menschen und insbesondere zwischen den Anhängern der Religionen und Konfessionen nur Feindschaft. Die menschliche Gesellschaft hat im Laufe ihrer Geschichte sowohl bittere wie auch angenehme Ereignisse bezeugt. Mittlerweile haben im Fortschreiten von Gesellschaft und Geschichte nicht nur Erfolge und positive Ereignisse einen süßen Geschmack beim Menschen hinterlassen, sondern auch bittere Geschehnisse haben bestimmte Erfahrungen hinterlassen, aus denen die Menschen Lehren gezogen haben, die ihnen helfen, in ihrem erfolgreichen Engagement in der Zukunft Fehler zu vermeiden. Diese bitteren historischen Ereignisse sind an der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft beteiligt und wirken darauf ein. Tatsächlich vermindern diese lehrreichen Erfahrungen, die man aus solchen Ereignissen zieht, den hohen Preis für diese bitteren Ereignisse, und man kann damit erfolgreich eine Brücke zu Glückseligkeit und Erfolg in der Zukunft bauen. Das bedeutet, dass die bitteren Ereignisse im Laufe der Geschichte der menschlichen Gesellschaft zuweilen zu einem hohen oder unbezahlbaren Preis aufgezwungen werden. Die totalitäre religiöse Herrschaft im Mittelalter, die Kreuzzüge, der 30-jährige Krieg zwischen christlichen Konfessionen, zwei zerstörerische Weltkriege, die Verbrechen gegenüber der jüdischen Minderheit usw. sind bittere und furchtbare Ereignisse, die den Menschen gleichzeitig jedoch gewisse Erfahrungen vermittelt haben. Die Epoche der Aufklärung, der Dialog der Religionen und religiöse Toleranz, die Menschenrechtsdeklaration und das weltweite Verständnis für die Bewahrung und den Schutz der Rechte der religiösen Minderheiten und insbesondere der Juden, die in einer bestimmten Epoche Opfer waren, sind das Ergebnis des Lernens aus solchen bitteren und unangenehmen historischen Ereignissen. Zweifellos ist die menschliche Erfahrung kein begrenzter Prozess, der ein Ende nimmt, sondern in einer kontinuierlichen und dauerhaften Bewegung Ergänzung und Korrektur benötigt. Deshalb sollte man die Meinung des großartigen österreichischen Philosophen Karl Popper teilen, wonach das Treffen einer besseren Entscheidung eine unbegrenzte und dauerhafte Suche ist. Demnach sollen wir für die
Vervollständigung und Ergänzung unserer Gedanken und die Korrektur unseres Urteils und unserer Entscheidungen zu verschiedenen Themen stets Ereignisse und Erlebnisse heranziehen. Aus dieser Sicht sollen die Ereignisse der letzten Wochen, die ihren Anfang in der Veröffentlichung der Karikaturen haben, die den Propheten des Islam verunglimpft haben, kritisch analysiert und bewertet werden. Angesichts der begrenzten Möglichkeit im Rahmen dieser Ansprache werde ich einige Punkte in diesem Zusammenhang kurz erwähnen. 1. Die Gefühle aller Muslime, gleich welcher Ebene oder Schicht sie angehören, von den religiösen Autoritäten und Intellektuellen bis zur Masse der gewöhnlichen Muslime, sind verletzt worden. In solchen Situationen muss man von den religiösen Autoritäten und der Elite erwarten, dass sie aufklärerisch wirken und die Gefühle der Masse mittels rationaler und logischer Methoden leiten und führen. Gefühle und Empfindungen sind eine besondere Erfahrung, die demjenigen, der sie nicht teilt, nicht verständlich sind. Deshalb liegt die beste Methode für die Äußerung von Empfindungen und Gefühlen insbesondere auf öffentlicher und gesellschaftlicher Ebene in der Schaffung der Voraussetzungen für Solidarität und Mitgefühl der Anderen. Gefühle sind ein persönliches Erfahren und Erleben und werden nur von jenen verstanden, die diese Gefühle hegen, wie z. B. das Gefühl der Mutter zu ihrem Kind, das speziell zur Mutter gehört und nur von ihr verstanden werden kann. Werden diese Gefühle jedoch mit der Sprache der Logik und Rationalität als ein für alle Menschen verständliches Prinzip zum Ausdruck gebracht, werden dadurch bei den Anderen Verständnis und Mitempfinden hervorgerufen. Gewalt und Brutalität sind mit der Lehre und Tradition des Propheten des Islam unvereinbar und verhindern Verständnis, das als strategisches Hauptprinzip niemals außer Acht gelassen werden darf, sondern bei jeder sich bietenden Gelegenheit genutzt werden muss, um in der Gesellschaft eine Atmosphäre des Verständnisses zu schaffen. Bedauerlicherweise haben bei diesem Ereignis einige Muslime für die Äußerung ihrer Gefühle Methoden ausgewählt, die nicht zu Solidarität und Verständnis beigetragen haben, sondern eine Atmosphäre des Missverständnisses verstärkt haben, und deshalb sind die muslimischen Autoritäten und Denker verpflichtet, mittels Aufklärung und Erläuterung solche Äußerungen zu verhindern. Der Qur’an und Prophet Muhammad haben wiederholt und in aller Deutlichkeit festgestellt, dass für die Beseitigung von Hässlichkeit und schlechten Taten etwas angewendet werden muss, was sich substanziell davon unterscheidet; d. h. man muss mittels vieler guten Taten die Wurzel der Hässlichkeit beseitigen. Vielleicht kann man sich für eine Beschimpfung rächen, indem man seinerseits beschimpft. Aber damit haben wir das Problem der Unhöflichkeit und des falschen Verhaltens nicht gelöst und beseitigt. 2. Meiner Meinung nach ist bei diesem Ereignis das Recht der Karikaturisten mehr als alles andere vernachlässigt worden. Von all jenen, die ihr Handeln kritisiert und verurteilt haben, und auch jenen, die ihre Tat als Notwendigkeit im Rahmen der Meinungsfreiheit angesehen haben, hat niemand versucht, den Zustand der Karikaturisten zu verstehen und ihren wahren Anteil an der Situation gerecht zu bestimmen. Letztlich wurde ihnen mit der Absicht, das Problem beizulegen, die gesamte Verantwortung zugeschoben, und bedauerlicherweise haben manche von ihnen ihren Arbeitsplatz verloren. Tatsache ist jedoch, dass ihr Anteil eigentlich viel geringer ist als bisher dargestellt wurde und sie folglich so harte Reaktionen nicht verdient haben. Der Islam unterscheidet zwischen Tat und Täter. Nicht immer verhält es sich so, dass derjenige, der eine schlechte Tat begeht, auch ein schlechter Mensch ist, weil der Maßstab von gut und böse seiner Tat nicht mit dem Maßstab von gut und böse des Menschen als Täter übereinstimmt. In der Tat sind das Ergebnis und die Wirkung, die mit der Tat verursacht wird, entscheidend dafür, ob diese Tat gut oder schlecht ist. Was jedoch den Täter anbelangt, ist die mit seinem Willen und seinem Bewusstsein verbundene Absicht entscheidend. Zweifellos stellen die beleidigenden Karikaturen eine schlechte Tat dar. Aber man kann nicht ganz sicher sein, dass die gesamte Verantwortung für diese Hässlichkeit bei den Tätern allein liegt und sie verurteilen. Es genügt, wenn wir uns für einen kurzen Moment in den Zustand dieser Leute versetzen, um unser Urteil nochmals zu überprüfen. Nur in einer verständnisvollen und natürlichen Atmosphäre, in der äußerliche Ursachen keinen Einfluss auf Kenntnis und Bewusstsein haben, kann man Verständnis für den anderen entwickeln und ihm die Verantwortung für die seiner Tat zugrunde liegenden Urteile und Absichten zuschreiben. Unter Berücksichtigung dieses wichtigen Punktes sind viele mit der Wahrheit nicht zu vereinbarende Vorurteile zu sehen, die unter der Masse der Muslime und Nichtmuslime über die jeweils anderen existieren, für die man die Menschen selbst nicht gänzlich verantwortlich machen kann, sondern vielmehr müssen in solchen Fällen unterschiedliche historische, gesellschaftliche und religiöse Ursachen genau analysiert und berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Urteile über den Islam in der westlichen Welt muss man berücksichtigen, dass unterschiedliche Gründe das Entstehen eines Zustandes des Verständnisses, der auf breiter Ebene ein sicheres und vertrauensvolles Urteil ermöglicht hätte, verhindert haben. Der Qur’an und vor allem der Prophet des Islam wurden von Anfang an von einigen christlichen Persönlichkeiten auf die schlechteste Art und Weise als eine Persönlichkeit dargestellt, die man niemals lieben, sondern der man nur feindselig gesinnt sein kann; dies führte sogar so weit, dass nach einigen Jahrhunderten der Name des Propheten des Islam im Sinne von Teufel gebraucht wurde. Die missverständliche Stimmung gegenüber dem Islam war so stark und tief, dass sie sogar Reformer und Intellektuelle der Aufklärung beeinflusste, also in einer Zeit, in der weder der Qur’an selbst noch andere Primärquellen des Islam in europäische Sprachen übersetzt worden waren, und selbstverständlich kann man auch nicht erwarten, dass Quellen und Interpretationen des Islam zur Verfügung standen. Bedauerlicherweise haben auch die falschen Taten von Muslimen und Regierungen, die im Namen der islamischen Herrschaft regierten, weiter zu dieser Atmosphäre des Missverständnisses beigetragen. Natürlich können in solchen Situationen, in denen einerseits keine gesicherten Quellen für die richtige Erkenntnis vom wahren Islam zur Verfügung stehen und eine Atmosphäre des Missverständnisses und der Feindschaft herrscht und andererseits Muslime, deren unakzeptables und gewalttätiges Tun nicht vom Qur’an und dem Propheten, sondern vielmehr von individuellen und ethnischen Gewohnheiten beeinflusst ist, Urteile nicht vollkommen mit der Wahrheit und Wirklichkeit übereinstimmen. Damit diese Atmosphäre geändert werden kann, müssen alle drei Seiten geändert werden. D. h. diejenigen, die mit religiöser Rechtfertigung Feindseligkeit verbreiten, müssen ihr Verhalten korrigieren. Die Hauptquellen für die Erkenntnis des Islam müssen zur Verfügung gestellt werden und diese Gruppe von Muslimen, die in Form von Extremismus ein unwahres und falsches Bild vom Islam darstellen, müssen ihr Verhalten korrigieren, und die Mehrheit der Muslime und ihre religiösen Autoritäten müssen sie ablehnen und isolieren.Letztlich muss ein ernsthafter Wille für die Umwandlung der feindseligen Atmosphäre in eine verständnisvolle Atmosphäre zustande kommen, und der Veränderungsprozess zur Erreichung des idealen Zustands hat begonnen. In der Zwischenzeit haben einige westliche Intellektuelle und Denker eine historisch wichtige Rolle gespielt. Der deutsche Dichter und Denker Lessing hat mit der Schöpfung des Dramas Nathan der Weise seinen Namen und den Namen Deutschlands im Prozess des gesellschaftlichen Verständnisses, des friedlichen Lebens und der religiösen Toleranz verewigt. Nun ist glücklicherweise eine Atmosphäre des Verständnisses und Dialogs gegeben, und effektive und wichtige Schritte wurden in diese Richtung gemacht. Aber dieser neue Zustand ist noch sehr jung. Seitdem der Dialog mit dem Islam im 2. Vatikanischen Konzil verabschiedet wurde, sind gerade vier Jahrzehnte vergangen, und das ist angesichts der jahrhundertelangen schweren Zeit der Missverständnisse ein sehr kurzer Zeitabschnitt. Aber es ist erfreulich, dass in dieser kurzen Zeit solche großen und hoffnungsvollen Schritte gemacht wurden, und es gilt, diesen jungen Baum sorgfältig zu schützen und zu pflegen. Die Feindschaft zu den Anhängern anderer Religionen hat in der Vergangenheit eine falsche Legitimation von christlichen Interpretationen erhalten. Deshalb kommt im neuen Zustand den religiösen Autoritäten und insbesondere den christlichen Theologen bei der Erweiterung und Verstärkung des vorhandenen Verständnisses und der Überwindung der Vergangenheit eine besonders bedeutungsvolle Funktion zu, wie sie auch bei der Schaffung des nunmehr vorhandenen Verständnisses neben den Intellektuellen und Eliten eine besondere konstruktive und effektive Funktion hatten. Die wichtigste Grundlage für die Erweiterung und Verstärkung des Verständnisses ist eine bessere Kenntnis von den Besonderheiten der Sprache des Dialogs, der Solidarität und des Verständnisses für die anderen. Diese Sprache ist für alle und insbesondere für die Intellektuellen und Politiker aus bestimmten Gründen erkennbar. Die religiösen Autoritäten sind jedoch verpflichtet, aus der Sicht der Religionen und des religiösen Glaubens zur Erweiterung und Stärkung dieser Sprache beizutragen, um dadurch die Glaubwürdigkeit unter der Masse der religiösen Menschen zu stärken. Die übliche Sprache ist für die religiösen Autoritäten die Sprache der Theologie. Die Besonderheit der Sprache der Theologie liegt im Beweis der religiösen Wahrheit, und sie ist nicht völlig frei von Dogmatismus. Diese Sprache ist für fundierte religiöse Gespräche und Diskussionen sehr nützlich. Aber die Sprache des Dialogs auf gesellschaftlicher Ebene muss die Akzeptanz des Pluralismus und der Toleranz gegenüber den Andersdenkenden umfassen, damit sie die süße Frucht des gesellschaftlichen Verständnisses und der Toleranz zeitigen kann. Obwohl im Kontext dieser Ereignisse von den geschätzten christlichen Autoritäten mehr aufklärerisches Agieren zu erwarten war, darf man niemals zulassen, dass solche Ereignisse ausgenutzt werden, um eine Auseinandersetzung zwischen den Religionen und Zivilisationen hinein zu interpretieren. Wir haben oft gesagt, dass die Religionen eine einheitliche Substanz haben und die Unterschiede zwischen ihnen bedeutungslos sind. Diejenigen, die die menschliche Gesellschaft spalten möchten, sind Feinde der Religionen und der Menschen. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die Sprache des Dialogs eine Alternative bekommt und die Atmosphäre des Verständnisses und der Toleranz Schaden nimmt. Niemals dürfen Geschehnisse missbraucht werden, um Hass und Gewalt zu schaffen, sondern jede Gelegenheit muss für die Erweiterung des Verständnisses und der Toleranz genutzt werden. Verständnis und Toleranz sind keine Einbahnstraße, sondern eine Strecke, die von beiden Seiten befahren werden soll. Deshalb darf man nicht erwarten, dass nur eine Seite sich auf der anderen einordnet und danach richtet, sondern der Prozess des Verständnisses und der Toleranz basiert auf der wechselseitigen Akzeptanz der anderen. Die Vergangenheit, die von Missverständnissen geprägt war, soll auf uns keine Wirkung haben, und wir sollen uns alle darum bemühen, wie Nathan der Weise, der Held des Lessingstücks, unsere Absicht von jeder Art von Pessimismus zu befreien und unser Wissen und unsere Erkenntnis zu mehren. Wenn gewisse leidvolle Erfahrungen im historischen Gedächtnis haften, sollen wir die Geschichte beiseite lassen und nur das Interesse an und die Liebe zu der Menschlichkeit, die sich in der Freundlichkeit und dem Verständnis zwischen Christen, Juden und Muslimen und allen Andersdenkenden manifestiert, in unserem Gedächtnis bewahren.