Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. In den letzten beiden Freitagsansprachen im gesegneten Monat Rama±Án haben wir von der Verbindung zwischen Gott und Mensch und den Ursachen, die eine Annäherung des Menschen zu Gott verhindern, gesprochen. Gott ist dem Menschen nahe, und diese Nähe ist unvorstellbar. Wenn in dieser Beziehung überhaupt eine Entfernung existiert, dann hängt dies mit der Vernachlässigung dieser Annäherung und dem Unverständnis seitens des Menschen zusammen. Eine der wichtigsten religiösen Lehren ist, dass es ebenso viele Wege zu Gott gibt wie es Menschen gibt. Gott begleitet den Menschen immer, und Er ist ihm niemals fern. Deshalb ist die Verbindung zu Ihm sehr leicht und bedarf weder bestimmter Voraussetzungen noch einer Vermittlung. Die einzige Voraussetzung für die Verbindung des Menschen zu Gott ist das Wollen des Menschen, denn von göttlicher Seite her existiert diese Verbindung immer. Es ist der Mensch, der die Verbindung zu Gott aufnehmen soll. Diese Verbindung des Menschen mit Gott bedeutet, dass er begreift, dass Gott ihm nahe und mit ihm verbunden ist. Folglich kann der Mensch in jedem Moment und an jedem Ort, wann und wo er will, diese Verbindung herstellen.Aus islamischer Sicht ist diese Verbindung nicht von einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort abhängig. Die heiligen Zeiten und Orte bieten lediglich besondere Gelegenheiten für eine leichtere Verbindung mit Gott, aber niemals ist diese Verbindung nur auf diese Zeiten und Orte beschränkt oder davon abhängig. Im Islam sind manche Tage und Monate im Laufe des Jahres heiliger und wichtiger als andere Tage und Monate, wie beispielsweise die Nacht zum Freitag, der Freitag selbst, der gesegnete Monat Rama±Án oder die Nächte der Bestimmung (Laylatu-l-qadr) im Laufe des Jahres. Es gibt auch heilige Orte, wie z. B. die Kaþba im Hedschas, oder die Moscheen an sich, gleich an welchem Ort sie sich befinden. Die Besonderheit dieser Zeiten und Orte liegt in ihren bestimmten Eigenschaften und der Tatsache, dass ihnen im Hinblick auf die Verbindung mit Gott eine besondere Stellung zukommt; an solchen Orten ist die Verbindung zu Gott leichter, wenngleich die Gründe, warum diese Orte und Zeiten so eine besondere Rolle spielen, wissenschaftlich nicht eindeutig erklärt werden können. Das sind Geheimnisse, die in der göttlichen Offenbarung gründen, über die die Religionen gesprochen haben und die der Mensch wie viele andere religiöse Lehren nicht entdeckt hätte, wenn die Religion nicht darüber gesprochen und die Offenbarung diese Vorhänge nicht beseitigt hätte. Deshalb sind die mit bestimmten Zeiten und Orten verbundene Energie und die versteckten Besonderheiten ein beobachtbares Prinzip. Diesen Punkt möchte ich jedoch im Hinblick auf unser Thema nicht weiter ausführen, sondern festhalten, dass für uns in diesem Zusammenhang wichtig ist, dass die Verbindung mit Gott nicht von diesen Orten und Zeiten abhängig ist. Auch der Prophet des Islam (k) hat dies in der folgenden Überlieferung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, in der es heißt: „Man kann sich überall auf der Erde vor Gott niederwerfen und mit Ihm Verbindung aufnehmen.“ Und diese Verbindung ist nicht nur auf einen besonderen Ort namens Moschee beschränkt, sondern „die ganze Erde ist für mich eine Moschee“ sagte der Prophet (k).Aus islamischer Sicht ist die Herstellung der Verbindung mit Gott nicht auf eine besondere Schicht, wie z. B. die Rechtsgelehrten, und nicht auf einen besonderen Tag wie z. B. den Freitag beschränkt. Gott zu erreichen ist nur für diejenigen schwer, die Ihn vergessen haben. Für jemanden hingegen, der die Schleier der Vergessenheit beseitigt und beabsichtigt, mit Gott Verbindung aufzunehmen und mit Ihm zu sprechen, der wird Ihn bei sich finden. Gott sagt in aller Deutlichkeit im Qur’Án zum Propheten, dass wenn dich Meine Diener über Mich befragen, so bin Ich nahe; Ich höre den Ruf des Rufenden, wenn Er Mich ruft (vgl. Sure al-Baqara, Vers 186). Der wichtige Punkt bei diesem Vers ist, dass obwohl Gott am Anfang den Propheten anspricht mit den Worten „wenn dich Meine Diener über Mich befragen“, Er diesen Dienern dann selbst antwortet und ihnen sagt: „Ich bin nahe“. Aus diesem Vers geht hervor, dass die Menschen, auch wenn sie den Propheten über Gott befragen, Er Selbst sie Seiner Nähe und Begleitung versichert und dass Er sogar denjenigen, die Ihn vergessen haben, das Gefühl gibt, dass Er ihnen nahe ist, d. h. Gott hat diese Frage direkt und ohne Vermittlung beantwortet, Er schickt Seine Botschaft nicht durch den Propheten, sondern Er sagt ganz direkt, „Ich bin euch nahe“. Man hat das Gefühl, als wolle Gott den Fragenden sagen: „Warum kommt ihr nicht zu Mir direkt, Ich bin euch doch nahe, und wenn ihr Mich ruft, bin Ich bei euch.“ Dies verleiht der Bedeutung, Wichtigkeit und Stellung des Bittgebetes (DuþÁ) im Prozess der Verbindung mit Gott Wert. Die besondere Bedeutsamkeit, die der Islam dem DuþÁ beimisst, resultiert aus dessen Funktion bei der Herstellung dieser Mensch-Gott-Verbindung. Es ist klar, dass Gott dem Menschen sehr nahe ist, aber man muss diese Nähe wahrnehmen und spüren, und das DuþÁ eröffnet uns diese Möglichkeit und vermittelt uns das Gefühl, dass wir von Gott verstanden und wahrgenommen werden. Bei dem zitierten Qur’Ánvers möchte Gott zu allen Menschen sagen, dass Er jedem nahe ist, dass Er aber demjenigen antwortet, der Ihn ruft und der Seine Nähe auch wahrnimmt, wie auch ImÁm as-SaººÁd (o) sagte: „Wer Gott direkt anspricht, hat einen sehr viel kürzeren Weg.“Die Bittgebete vom Menschen sind vom Inhalt und Thema her sehr unterschiedlich, aber abgesehen davon, welchen Inhalt und welches Thema ein Bittgebet hat und was man von Gott erbittet, ist all diesen Gebeten die dadurch hergestellte Verbindung zu Gott gemeinsam. Ein Mensch, der ein Bittgebet spricht, spürt die Nähe Gottes, und er nimmt wahr, dass Gott ihn begleitet und er die Möglichkeit hat, mit Ihm zu reden und Ihm seine Bedürftigkeit kundzutun. Auch wenn die in einem DuþÁ geäußerten Bitten und Wünsche eines Menschen gemäß den Gesetzmäßigkeiten und Weisheiten der Schöpfung nicht in Erfüllung gehen, so gewinnt diese Person dennoch eine gewisse innere Ruhe. In diesem Sinne ist letztlich jedes Bittgebet von Nutzen, weil der Mensch dadurch mit Gott spricht, und dass er seine Aufmerksamkeit auf Gott richtet impliziert eine Rückkehr zu seiner eigenen wahren Identität und Persönlichkeit. Ein Mensch, der seine Identität vergessen hat, ist ein nervöser und unsicherer Mensch, und diese Unsicherheit ist tief in seiner Psyche verwurzelt, und er leidet darunter. Ein solches Leiden manifestiert sich z. B. bei jemand, der zwar unter den besten Umständen und im Wohlstand lebt, aber unter der Tatsache leidet, dass er fern von seiner Heimat, seiner Familie und seinen Freunden ist. Ein Mensch, der Gott vergessen hat, ist einem solchen versteckten und geheimen Leiden ausgesetzt, und dieses Leiden begleitet ihn immer und zeigt sich in bestimmten Situationen und Orten in seinem Leben. Das Denken an Gott zügelt dieses Leiden und verleiht dem Geist und der Seele des Menschen eine gewisse Ruhe, die im Qur’Án als besondere und außergewöhnliche innere Ruhe bezeichnet wird (vgl. Sure ar-Raþd, Vers 28 und Sure al-Fat½, Vers 4).Abschließend muss ich aber noch einen wichtigen Punkt erwähnen: Obwohl die Verbindung mit Gott sehr leicht herzustellen ist, nicht begrenzt ist und keines Vermittlers bedarf, muss aber eine Bedingung erfüllt werden, die betont wird und die sehr wichtig ist. Wie bereits hervorgehoben wurde ist eine unerlässliche Bedingung für die Verbindung mit Gott der Wille, das bedeutet der Mensch soll wollen, dass diese Verbindung mit Gott zustande kommt, denn andererseits ist die Verbindung von Gott zum Menschen ewig und unzerstörbar. Diese Bedingung ist deshalb unerlässlich, weil der Mensch aufgrund seiner vielen Sünden und schlechten Absichten einen geistigen und seelischen Zustand erlangt hat, in dem er die Notwendigkeit dieser Bindung an Gott und des Redens mit Gott nicht mehr in sich spürt. Mit anderen Worten: ein solcher Mensch hat sein göttliches Gefühl verloren, und die durch Sünden geschaffenen Hindernisse und Schleier verhindern, dass er seine göttliche Identität wieder finden kann. Dies kann so sehr in Vergessenheit geraten, dass der Mensch eine zweite Persönlichkeit bekommt, die seiner göttlichen Persönlichkeit gänzlich widerspricht, d. h. er hat eine niedrigere Persönlichkeit angenommen, die seine ursprünglich reine und göttliche Persönlichkeit in eine sündige und teuflische Identität verwandelt hat. Für einen solchen Menschen, der in die größte Schwäche und tiefste Stufe versinkt, ist die Sünde keine Nebensache, sondern sie ist vielmehr ein Teil seiner Persönlichkeit geworden, was die Beseitigung der Sünde bei ihm sehr schwer, wenn nicht fast unmöglich macht. Deshalb beschreibt der Qur’Án den Weg zur Reue und Rückkehr zu Gott für alle Menschen in jeder Zeit und jedem Zustand als offen, denn wie bereits beschrieben ist die Nähe Gottes zum Mensch dauerhaft und unzerbrechlich. Ein Mensch jedoch, dessen menschliche Persönlichkeit verunstaltet wurde und der nur noch die Bezeichnung „Mensch“ trägt, hat die Macht und Kraft zur Reue nicht mehr, und wie der Qur’Án sagt, haben Sünde und Schlechtigkeit alle Teile seiner Persönlichkeit in einem solchen Maße erobert, dass sie nicht sündig, sondern vielmehr selbst Sünde ist. In einem solchen Zustand wird der Mensch, auch wenn der Weg der Reue und Rückkehr zu Gott offen ist, diesen Weg niemals einschlagen, und folglich bleibt er der Gnade Gottes immer fern (vgl. Sure al-Baqara, Vers 81). Wir wissen, dass die Anzahl dieser Menschen sehr klein und gering ist, und der Mensch nur in einer besonderen Situation in diese niedrige Stufe verfällt. Aber er muss wissen und beachten, dass diese Stufe allmählich und Schritt für Schritt erreicht wird, und demnach jede unserer Verhaltensweisen entscheidend ist.Wie ist es vorstellbar, dass ein Mensch, der seinen menschlichen Geist verliert und auf eine animalische Stufe zurückfällt, wie ein Tier, ohne Gefühl und Mitleid einen Menschen, der ohne jeglichen Schutz und ohne jede Möglichkeit der Verteidigung ist und bereits zwischen Leben und Tod schwebt, an einem heiligen Ort namens Moschee mit einer Kugel erschießt, wie dieser Tage in Falludscha geschehen? Ein Ereignis, das die Erinnerungen an das Gefängnis Abu Ghoraib zurückbringt und ein Zeichen für den geistigen und moralischen Niedergangs des Menschen darstellt. Wie kann man ein solches von primitivsten moralischen Prinzipien und menschlichen Gefühlen geprägtes Verhalten rechtfertigen? Dieses animalische Verbrechen ist nicht die Tat eines einfachen Soldaten. Wie ist es möglich, dass in kurzer Zeit derartige bewegende und unmenschliche Szenen von jenen verübt werden, die behaupten, die Welt retten und Demokratie und Menschenrechte in der Welt verbreiten zu wollen, und die gleich alten Vätern von einer höheren Stellung und Führung die europäischen Länder mahnen?! Wie kommt es, dass die verbrecherische Tat eines Menschen, der sich ungerechtfertigt Muslim nennt, verallgemeinert wird und allen Muslimen angelastet wird, das Verhalten und die unmenschliche Tat dieser Kräfte, die dem direkten Befehl der Befehlsgeber und -führer unterstehen, aber nicht verallgemeinert wird?Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.