Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Allahs, des Gnädigen, des BarmherzigenLobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Muhammad (k), seinen reinen Nachkommen (o) und seinen rechtschaffenen Gefährten.„…Und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten….“ (Sure al-MÁ’ida, Vers 32).Mit der Hilfe Gottes möchte ich ab heute in den Freitagsansprachen die Sicht des Islam zu den wichtigsten Themen erörtern, wobei das erste Thema der Mensch sein soll. Der Mensch ist aus der Sicht des Islam mehr als nur ein Geschöpf. Seine Existenz an sich stellt für ihn weder Vorzug noch besondere Ehre dar, denn diese Eigenschaft teilt er mit anderen Geschöpfen. Aber der Mensch ist ein besonderes Wesen, dem der Heilige Qur’Án in Sure Al-IsrÁ’, Vers 70, eine besondere Würde zuschreibt: „Und wahrlich, wir haben die Kinder Adams geehrt…“. Würde und Edelmut sind spezielle Eigenschaften des Menschen, die kein anderes Wesen besitzt. Er ist somit ein erhabenes Wesen, das sogar den Engeln Gottes überlegen ist. Die Niederwerfung der Engel vor dem Menschen am Anfang seiner Schöpfung symbolisiert diese Überlegenheit und Erhabenheit: „Und als Wir zu den Engeln sprachen: ‚Werft euch vor Adam nieder’, da warfen sie sich nieder…“ Und in Sure ÆÁd, Verse 73 und 74, lesen wir: „Und wenn Ich ihn gebildet und von Meinem Geist in ihn eingehaucht habe, dann fallt vor ihm nieder.’ Da warfen sich alle Engel nieder.“ Die Würde des Menschen ist nicht nur ein Recht wie alle anderen Rechte, beispielsweise das Recht auf Leben, Wohnung usw., sondern sie macht seine essentielle Identität und existentielle Natur aus. Deshalb steht die Würde des Menschen für nichts anderes als seine Menschlichkeit, denn jeder besitzt unabhängig von Gedanken, Glauben, Religion usw. eine bestimmte Würde. In dem zuvor erwähnten Qur’Ánvers bezeichnet Gott die Kinder Adams als würdige Wesen und behält diese Eigenschaft nicht den Gläubigen, den Muslimen oder Anhängern anderer Religionen vor. Würde ist somit eine allen Menschen gemeinsame Eigenschaft, und man kann niemanden davon ausschließen. Aus diesem Grund bezeichnet der Qur’Án den Schutz der Würde und Ehre eines Menschen als das Bewahren der Würde aller Menschen und stellt in Sure al-MÁ’ida, Vers 32 fest: „…und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten….“ Aus qur’Ánischer Sicht ist die Auszeichnung eines Menschen keine individuelle Angelegenheit, sondern sie impliziert vielmehr die Auszeichnung der menschlichen Würde allgemein und somit aller Menschen. Der Islam kategorisiert die Menschen nicht auf der Grundlage ihrer Überzeugungen, Gedanken, Nationalität, Religion oder ihres Geschlechts. Im Islam gibt es keinen erstklassigen oder zweitklassigen Menschen. Alle Menschen, ob Mann oder Frau, Muslim oder Nichtmuslim, weiß oder schwarz, sind in ihrem Menschsein gleich und genießen die gleichen Rechte. Keine Rasse ist einer anderen überlegen.In Sure al-¼uºurÁt, Vers 13 steht geschrieben: „O ihr Menschen, Wir haben euch von Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen möget…“ Diesem Vers ist zu entnehmen, dass die Rasse kein Maßstab für die Würde des Menschen ist. Ein Muslim trägt gegenüber anderen Muslimen bestimmte Verantwortungen, die seiner Verantwortung gegenüber Menschen anderer Religionen und Nationalitäten keineswegs widersprechen. Kommt ein Muslim seinen Pflichten gegenüber anderen Muslimen nicht nach, so begeht er eine Sünde; und gleichermaßen sündhaft handelt er, wenn er seinen Pflichten gegenüber Andersgläubigen und selbst Ungläubigen nicht nachkommt. Gott wird ihn dafür tadeln und bestrafen. Aus islamischer Sicht sind die Menschlichkeit und die auf ihr gründenden ethischen Werte die grundlegenden Prinzipien der menschlichen Beziehungen in einer Gesellschaft. In den islamischen Überlieferungen findet man viele Belege für diese Ansicht. Bu½ÁrÍ zitiert die Überlieferung von ³Áber ibn þAbdullÁh AnÈÁrÍ: „Eines Tages wurde vor Prophet Mu½ammad (k) die Leiche eines Juden weggetragen. Der Prophet bezeugte dem Leichnam seinen Respekt. Ein Muslim sagte zum Propheten: ‚O Gesandter Allahs, dies ist die Leiche eines Juden!’ Der Prophet antwortete ihm: ‚Ist er denn kein Mensch?’“ Der Qur’Án lehrt uns, dass die Menschen aber trotz ihrer prinzipiellen Gleichheit einen unterschiedlichen Rang bei Gott haben können, ein Gedanke, den ich in der nächsten Freitagsansprache weiter ausführen möchte. Zum Schluss muss ich mein Bedauern darüber äußern, dass im Gegensatz zu den menschlichen Lehren der monotheistischen Religionen, die alle Menschen zu gedeihlichen ethischen Beziehungen auffordern, einige verlogene Anhänger dieser Religionen Taten begehen, die mit den göttlichen Lehren nicht im geringsten Zusammenhang stehen. Aus meiner Sicht als islamischer Gelehrter hat das, was einige extremistischen Gruppen im Namen des Islam in verschiedenen Teilen der Welt begehen, weder mit dem Islam noch mit der Allgemeinheit der Muslime etwas zu tun. Niemand hat das Recht, unschuldige und schutzlose Menschen zu töten, und sich gleichzeitig Muslim zu nennen. Judentum und Christentum sind aus der Sicht des Islam göttliche Religionen, denen eine gemeinsame abrahamitische Tradition eigen ist. Wer im Namen des Judentums, des Christentums oder des Islam unschuldige Menschen tötet, wie am 11. September in New York, in Palästina, am 11. März in Madrid oder anderswo, darf sich nicht Jude, Christ oder Muslim nennen.