Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, gilt mein Dank für die Ehre, Ihm und dem Islam in diesem Islamischen Zentrum dienen zu dürfen, das vor nunmehr fünfzig Jahren im Einvernehmen mit dem religiösen Oberhaupt jener Zeit, Ayatollah Borudjerdi, gegründet wurde. Seit seinem Bestehen fühlen sich alle Muslime, ungeachtet ihrer Konfession, ethischen oder nationalen Abstammung, in dieser Moschee und diesem Zentrum heimisch und wohl. Seit seiner Gründung hat das Islamische Zentrum Hamburg eine bedeutende Rolle bei der Vermittlung des Islam in dieser abendländisch-christlichen Umgebung gespielt. Die Tradition meiner Vorgänger in diesem Amt, die Würde und Ehre des Islam und dieses Zentrums zu bewahren und zu stärken, möchte ich fortführen. Als Thema meiner ersten Freitagsansprache in diesem Zentrum habe ich die Bedeutung des Freitagsgebets aus islamischer Sicht gewählt. Im Islam zielen sämtliche gottesdienstliche Handlungen auf die Erziehung und Vervollkommnung des Menschen ab, und das Gebet ist in diesem Sinne der bedeutsamste Ausdruck der Gottesverehrung. Die Anbetung Gottes findet nicht nur auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene statt, wobei sie als Korrektiv für menschliche Handlungen wirken kann. Der Gläubige, der Gott nahe kommen möchte, darf auch auf gesellschaftlicher Ebene keine unangemessene und destruktive Haltung einnehmen, denn sein Handeln bringt letztlich die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit seines Glaubens zum Ausdruck. Wer die Rechte der Anderen und Gesetze missachtet, die den Schutz und die Bewahrung der Rechte des Einzelnen garantieren, kann kein wahrhaftiger Muslim sein, und in einem solchen Fall sind auch seine individuellen Gebete vergebens. Was den gesellschaftlichen Aspekt der Anbetung betrifft, so wird hierbei der Mensch nicht als individueller Gläubiger, sondern als Mitglied einer Gesellschaft angesprochen, wobei keine gesellschaftlichen Effekte im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die gesellschaftliche Essenz hervorgehoben wird. Der Mensch wird ermutigt, sich der Gesellschaft anzuschließen und als ein Mitglied der Gemeinschaft und nicht nur als isoliertes Individuum zu beten. Wer den Sinn derartiger Gebete nicht versteht und an seinen individuellen Gebeten festhält, erfüllt seine Pflicht nicht vollständig. Das Freitagsgebet soll in der Gemeinschaft verrichtet werden; es hat die Vorteile eines individuellen Gebets vereint mit gesellschaftlicher Bedeutung.Im Heiligen Qur’Án, Sure al-¹umuþa, Vers 9 lesen wir: „O ihr, die ihr glaubt, wenn zum Freitagsgebet gerufen wird, dann eilt zum Gedenken Allahs…“Diesem Vers ist zu entnehmen, dass Gott nicht nur im Alleinsein, sondern auch in der Gemeinschaft zu finden ist. Auch in der Vielfalt ist die Einheit wahrnehmbar, und in diesem Sinne verkörpern die Mitglieder einer Gemeinschaft unabhängig von jeglichen unterschiedlichen Einsichten und Motiven einen Körper und eine Seele. In einer wahrhaft islamischen Gesellschaft muss jedes Mitglied Verständnis für die Erfüllung seiner Verantwortung in der Gesellschaft haben, wobei die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft die Erfüllung der individuellen Verpflichtungen impliziert. Gesellschaftliche Schwierigkeiten und Konflikte resultieren nicht zuletzt aus mangelnder Kooperationsbereitschaft des Einzelnen. Deshalb betont der Islam das tiefe individuelle Verantwortungsgefühl. Das in der Gemeinschaft verrichtete Gebet gilt im Islam als eine wichtige Form der Gottesverehrung und –anbetung und wird im Heiligen Qur’Án betont. Insbesondere das Freitagsgebet ist eines der wichtigsten Gebete, das Brüderlichkeit, Solidarität und Verantwortungsgefühl stärkt. Deshalb sollten in der Freitagsansprache neben dem Aufruf zur Gottesfurcht und Selbstbeherrschung immer auch gesellschaftliche Probleme angesprochen werden. Das Freitagsgebet lehrt uns, dass die Liebe der Mitmenschen die Voraussetzung für die Verwirklichung der Gebete ist, und dass Gottesliebe ohne Nächstenliebe und Liebe zu den anderen Geschöpfen Gottes nicht möglich ist. Die Schöpfung Gottes ist nicht auf den Menschen beschränkt, sondern schließt alle anderen Geschöpfe ein. Aus diesem Grund sollte der Gläubige stets verantwortungsbewusst mit natürlichen Ressourcen und der Umwelt umgehen. Die Bewahrung der Sicherheit der Menschen in einer Gesellschaft durch die herrschenden Kräfte ist unerlässlich. Man kann von Bürgern kein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein erwarten, wenn ihre individuellen Freiheiten und Rechte nicht gesichert sind. Fehlende Sicherheit in diesem Bereich führt zu Abkehr und Desinteresse gegenüber dem Schicksal der Gesellschaft. Leider werden wir in jüngster Zeit in manchen europäischen Ländern Zeugen unerfreulicher Ereignisse; ein Beispiel dafür ist das Kopftuchverbot für muslimische Frauen. Diese Gesetze und Gesetzesvorhaben sind nicht nur in rechtlicher Hinsicht kontrovers, sondern schaden auch der Harmonie der Gesellschaft und dem Sicherheitsempfinden der Muslime, die oftmals schon in der zweiten oder dritten Generation in dieser Gesellschaft leben und zu deren Entwicklung bemerkenswerte wissenschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Beiträge geleistet haben. Es ist ihr gutes Recht, von dieser Gesellschaft die Respektierung und Wahrung ihrer Glaubensgrundsätze und persönlichen Freiheiten zu erwarten und nicht zur Missachtung ihrer auf Bewusstsein und Freiwilligkeit basierenden religiösen Gebote gezwungen zu werden. Die islamische Bekleidung (¼iºÁb) ist kein politisches Symbol und keine politische Parole, sondern ein religiöses Gebot, das wie andere islamische Vorschriften von den Muslimen freiwillig akzeptiert wird. Das Verbot der islamischen Bekleidung kommt zweifellos einer Bedrohung der persönlichen Freiheit und Verletzung der Privatsphäre gleich. Man kann nicht einerseits von Religionsfreiheit in der Gesellschaft sprechen und andererseits Bürger dieser Gesellschaft, die nicht dem Mehrheitsglauben angehören, zur Missachtung ihrer religiösen Bestimmungen zwingen. Die Botschaft des Kopftuchverbotes an die muslimischen Frauen lautet: Ihr dürft eure Religion nicht frei wählen, nicht danach leben und nicht danach handeln. Abschließend möchte ich dem Bundespräsidenten für seine faire und weise Stellungnahme sowie dem Bundesverfassungsgericht für sein Urteil in Bezug auf die Bekräftigung der Rechte der muslimischen Frauen beim Auswählen ihrer islamischen Bekleidung danken.